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Arzneimittel im Wasser schränken die Planktonvielfalt ein

11. April 2017 | Andri Bryner

Dass chemische Verunreinigungen die Ökologie beeinflussen, ist unbestritten. Darüber, wie dies geschieht, ist aber immer noch wenig bekannt. Jetzt zeigt eine Studie der Eawag, dass Arznei- und Körperpflegemittel in einem See mit steigenden Konzentrationen die Vielfalt der Algen einschränken und schliesslich eine monotonere Lebensgemeinschaft entsteht, die möglicherweise nicht mehr flexibel auf Umweltveränderungen reagieren kann.

Bereits verhältnismässig geringe Konzentrationen von Arznei- und Körperpflegemitteln können sich auf die Vielfalt unter den Gewässerorganismen auswirken. Das weist eine Studie der Eawag nach, die soeben in der Zeitschrift PLOSone publiziert wurde. Die Gewässerökologen haben dazu in kleinen halbdurchlässigen Beuteln im Greifensee die Vielfalt der schwebenden, Fotosynthese betreibenden Organismen (Phyto-Plankton) untersucht. Sie haben nicht nach einzelnen Arten unterschieden, sondern nach Merkmalen wie Grösse, Koloniebildung, Fluoreszenz oder Pigmentreichtum – in der Summe als phänotypische Vielfalt bezeichnet.

Realistische Szenarien der Belastung

Neben den Kontrollmessungen mit unverändertem Seewasser haben sie die Beutel eine Woche lang auch mit einem Gemisch von 12 Wirkstoffen aus Arznei- und Körperpflegeprodukten in drei verschiedenen Konzentrationen versehen. Projektleiter Francesco Pomati betont, dass es sich um realistische Szenarien handle. Solche Stoffgemische würden in der Umwelt vorkommen, sowohl was die Substanzen als auch deren Konzentrationen betreffe. Die höchste Konzentration, mit der getestet wurde, entspreche ungefähr derjenigen, wie sie unterhalb von Kläranlagen gemessen werden könne. Realistisch ist auch die Situation in den Beuteln; denn im Unterschied zu Laborversuchen waren diese Mikrokosmen den natürlich schwankenden Umweltfaktoren im See wie Licht, Temperatur, Strömung oder Nährstoffangebot ausgesetzt. Zusätzlich haben die Forschenden die Versuche auf 1, 3 und 6 Metern Tiefe durchgeführt. Mit der grösseren Tiefe haben sie Stressfaktoren – schwindendes Licht und tiefere Temperaturen – in ihre Versuche eingebaut. So konnten sie überprüfen, ob wirklich die Chemikalien oder nicht doch andere Grössen für die Beeinflussung des Planktons verantwortlich sind.

Fluktuationen werden nicht mehr mitgemacht

In einem an der Eawag weiter entwickelten Durchflusszytometer wurden am Ende der Testphase die Merkmale der Planktongemeinschaften und auch die Biomasse bestimmt. Die Resultate zeigen, dass sowohl die einzelnen Organismen als auch die ganze Gemeinschaft umso mehr Vielfalt verloren haben, je höher die Konzentration der Mikroverunreinigungen war. Die Individuen waren zum Beispiel kleiner und weniger farbenreich oder bildeten weniger Kolonien. Interessanterweise wiesen die monotoneren Gemeinschaften in den chemisch belasteten Beuteln insgesamt mehr Biomasse auf als die ursprüngliche Kontrollgemeinschaften. Für Gewässerökologe Pomati ist das kein Widerspruch. Seine Hypothese, die er nun mit neuen Projekten prüfen will: Weil die vielfältigen Gemeinschaften sehr agil und flexibel auf Umweltveränderungen reagieren, ist ihre Reproduktionsrate tiefer als bei den monotoneren Gemeinschaften, die sich kaum mehr verändern. Längerfristig sei aber genau diese Kapazität, sich an Fluktuationen anzupassen, überlebenswichtig, ist Pomati überzeugt.

In solchen Beuteln (links) wurden die Planktongemeinschaften im Greifensee getestet.
Rechts: Die Versuchsanordnungen wurden eine Woche lang in 1, 3 und 6 Metern Tiefe verankert. (Bilder: Eawag)

Originalpublikation

Pomati F, Jokela J, Castiglioni S, Thomas MK, Nizzetto L (2017). Water-borne pharmaceuticals reduce phenotypic diversity and response capacity of natural phytoplankton communities. PLoS ONE 12(3): e0174207. http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0174207