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Das Erfolgsgeheimnis heisst Legitimität

21. Oktober 2015 | Andres Jordi

Was braucht es, um einer neuen Technologie wie der Trinkwassergewinnung aus Abwasser zum Durchbruch zu verhelfen? Die Betroffenen müssen in der Neuerung nicht nur einen Nutzen für sich erkennen, sondern diese auch mit den gesellschaftlichen Werten vereinbaren und in ihren Lebensalltag integrieren können. Das zeigen umweltsozialwissenschaftliche Untersuchungen in Kalifornien. Von Andres Jordi

So hatten sich das die Wasserversorger im chronisch an Wassermangel leidenden Kalifornien nicht vorgestellt: Statt einhellig begeistert, begegnete die Bevölkerung dem innovativen Verfahren zur Gewinnung von Trinkwasser aus gereinigtem Abwasser vielerorts mit Skepsis. Obwohl die Technik erprobt und sicher ist und das aufbereitete Wasser die Qualitätsstandards erfüllt, scheiterten bis heute etliche Projekte am öffentlichen Widerstand. Warum? «Viele Ingenieure und Naturwissenschaftler meinen immer noch, dass die Betroffenen eine neue Technologie akzeptieren, wenn man sie nur genügend informiert», sagt der Umweltsozialwissenschaftler Bernhard Truffer von der Eawag. «Aber meistens braucht es mehr als Aufklärung und Marketing.»

Was es braucht, um Trinkwasser aus Abwasser salonfähig zu machen, zeigt der Wasserversorger «Orange County Water District» (OCWD) in Kalifornien. Das Unternehmen betreibt mit dem Groundwater Replenishment System seit 2008 eine Aufbereitungsanlage auf dem neusten Stand der Technik. Das Abwasser durchläuft dabei nach einer konventionellen Klärung eine Mikrofiltration sowie eine Umkehrosmose und wird mit UV-Licht und Wasserstoffperoxid desinfiziert (Abb. 1). Nach der Aufbereitung wird es ins Grundwasser eingespeist. OCWD gewinnt auf diese Weise pro Tag 265 000 Kubikmeter Trinkwasser von hoher Qualität und kann damit rund 600 000 Personen versorgen.

Zielgruppengerecht informieren und mitreden lassen

Die Eawag-Wissenschaftler Bernhard Truffer und Christian Binz haben zusammen mit Kollegen der University of California untersucht, wie sich die Strategie des OCWD vom Vorgehen erfolgloser Projekte unterscheidet. Sie führten dazu unter anderem mit beteiligten Führungskräften, Managern, PR-Beratern, Behördenvertretern, Wissenschaftlern und beratenden Ingenieuren umfangreiche Interviews. Erklären konnten sie den Erfolg von OCWD schliesslich mit dem Konzept der Legitimität aus der Soziologie und Innovationsforschung. Demzufolge basiert die gesellschaftliche Akzeptanz für eine Innovation auf drei Pfeilern: dass die Betroffenen darin einen eigenen Nutzen erkennen, dass sie die Neuerung mit den gesellschaftlichen Werten vereinbaren und in ihren Lebensalltag integrieren können. Will sich ein Unternehmen die Legitimation für die Einführung einer neuen Technologie verschaffen, muss seine Strategie alle drei Ebenen abdecken (Abb. 2).

Genau dies fanden die Forscher bei OCWD. Der Wasserversorger investierte zum Beispiel viel Zeit und Geld in Informationskampagnen. In über 1200 Präsentationen erklärte er der Bevölkerung das neue Wasserrecyclingsystem und zeigte dessen Nutzen für eine sichere und verlässliche künftige Trinkwasserversorgung auf. Er kommunizierte konsequent in einer verständlichen und zielgruppengerechten Sprache. Das Informationsmaterial war nicht nur in Englisch vorhanden, sondern wurde auf Spanisch, Vietnamesisch und Chinesisch übersetzt. Die Führungspersonen informierten persönlich und suchten den Austausch mit der Bevölkerung. «Dadurch verankerten sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung als vertrauenswürdige und kompetente Experten», sagt Truffer. Bürgerinnen und Bürger konnten ihre Wünsche und Bedenken überdies über verschiedene aus Bevölkerungsvertretern bestehende Beiräte einspeisen. Die Anliegen flossen in die Projektplanung und -umsetzung ein.

Abb. 2: Betroffene bewerten die Legitimität einer neuen Technologie auf drei Ebenen. Für eine erfolgreiche Einführung der Technologie braucht es die Legitimation auf allen Ebenen. Je nach Kontext (Region, Kultur etc.) und Zielgruppe (Nutzer, Politiker, Verbände etc.) unterscheidet sich die Strategie, mit der sich die Legitimation fördern lässt.
(Illustration: Peter Penicka)

Kontrolle, Standards, Transparenz – und der richtige Name

Der OCWD profitierte auch von seinem guten Leistungsausweis und seiner langen Erfahrung in der Wasserversorgung. Das Unternehmen konnte auf einen über 30-jährigen sicheren und zuverlässigen Betrieb verweisen. «Die hervorragende Reputation half, dass die Bevölkerung dem OCWD die nötigen Fähigkeiten und die gebotene Sorgfalt im Umgang mit der neuen Technologie attestierte», sagt Truffer. Vertrauensfördernd wirkte laut dem Umweltsozialwissenschaftler zudem, dass der Wasserversorger eine strenge, über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende Qualitätskontrolle einführte. So testet der OCWD das Wasser im eigenen hochmodernen Labor auf 335 Chemikalien (vorgeschrieben sind 122). Zusätzlich hat er die Betriebsabläufe standardisiert und ein Vorgehen bei Störfällen festgelegt. Gearbeitet wird rund um die Uhr während sieben Tagen. Auf regelmässigen öffentlichen Betriebsführungen konnten sich Bewohnerinnen und Bewohner selber ein Bild machen, wie die Wasseraufbereitung bei OCWD funktioniert.

Dank transparenter Kommunikation festigte der OCWD sogar im Krisenfall seinen Ruf als vertrauenswürdiges und kompetentes Unternehmen. Die Firma entdeckte im Jahr 2000, dass bei der Aufbereitung des Abwassers geringe Mengen des krebserregenden N-Nitrosodimethylamins entstanden. Statt zu warten, bis das Problem behoben war, informierte sie umgehend über den Vorfall und das weitere Vorgehen. «Das proaktive Verhalten brachte in der Öffentlichkeit viel Wohlwohlen», so Truffer. Und die Zeitungen schrieben nicht von einem Skandal, sondern von einem unbedeutenden Zwischenfall, den man am Beheben sei.

Der Studie zufolge wirkte sich sogar die Bezeichnung «Groundwater Replenishment System» (System zur Anreicherung des Grundwassers) positiv auf die Akzeptanz aus (Abb. 3). Demnach verband die Bevölkerung den Namen weniger mit einer unbekannten Technologie als mit der vertrauten Anreicherung von Frischwasser, die der OCWD seit Jahrzehnten gegen die Versalzung des Grundwassers betreibt. Indem die Firma im Zusammenhang mit dem neuen Verfahren konsequent von Wasserrecycling sprach, verknüpfte sie dieses zudem mit dem für die meisten Leute alltäglichen Wiederverwertungsgedanken. Umweltschutzorganisationen gehörten denn auch zu den ersten Befürwortern des Verfahrens.

Langfristige und massgeschneiderte Strategie

Der Lohn für das gründliche Vorgehen des OCWD ist die hohe Legitimität, die das Aufbereitungsverfahren bei der Bevölkerung besitzt. «Die Strategien der gescheiterten Projekte hingegen deckten nicht alle Bereiche des Legitimitätskonzepts ab und der Widerstand war entsprechend gross», sagt Truffer. So wurde die Bevölkerung bei den einen Projekten zu wenig in die Entscheidungs- und Planungsprozesse eingebunden. Bei anderen fehlten klare Prozessabläufe, die Repräsentanten wirkten zu wenig kompetent oder man misstraute gar den Absichten der Betreiber. Zum Teil setzte man auch auf die falsche Strategie. Ein Unternehmen pries sein Projekt zum Beispiel als Abwassermanagement an und nicht als solches, das die Trinkwasserversorgung verbessern soll.

Die Umweltsozialwissenschaftler betonen, dass eine ausgeklügelte Strategie alleine natürlich nicht automatisch zum Erfolg führe. «Gewisse Vorhaben besitzen in einem bestimmten Kontext keine Berechtigung», so Truffer. Das Legitimitätskonzept zeige aber, was es neben einer guten Technologie zusätzlich brauche, um dieser eine öffentliche Akzeptanz zu verschaffen. Laut den Forschern lässt sich eine erfolgreiche Strategie dabei nicht eins zu eins auf andere Projekte oder Akteure übertragen. Vielmehr gelte es, eine Legitimationsstrategie aus der Kultur, den Werten und der Geschichte einer Region oder einer Zielgruppe heraus zu entwickeln. «Die Authentizität eines Projekts und seiner Initiatoren scheint mir eines der wichtigsten Kriterien für eine hohe Glaubwürdigkeit zu sein», sagt Truffer. Das Beispiel OWCD zeige auch, dass sich Legitimität nicht von heute auf morgen schaffen lasse, sondern ein längerfristiger Prozess sei. «Rasche, schlecht durchdachte Marketingoffensiven sind nicht ratsam und können das Fundament eines möglichen Erfolgs zerstören», sagt der Forscher.