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Innovationen erfolgreich einführen

30. September 2021 | Bärbel Zierl

Obwohl die Folgen des Klimawandels mehr und mehr sichtbar und spürbar werden, geht es mit dem Wechsel zu klimafreundlichen Energiesystemen nur schleppend vorwärts. Mit einem Feldexperiment untersuchten Eawag und Universität Groningen (NL), mit welcher Art von Massnahmen sich Innovationen wie Wärmepumpen besser fördern lassen.

Der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung ist tief in unserer westlichen Kultur verwurzelt. Vorschriften, Verbote und auch Empfehlungen rufen daher nicht selten Trotzreaktionen hervor. «Jetzt erst recht», denkt so mancher und greift wegen des Hinweises «Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden» trotzig nach dem Glimmstängel. Andere wiederum verteidigen ihre persönliche Freiheit, indem sie trotz Maskenpflicht das Tragen des Mundnasenschutzes demonstrativ verweigern. 

Die psychologische Forschung spricht von Reaktanz – dem Widerstand, wenn die eigene Entscheidungsfreiheit gefühlt oder real eingeschränkt wird. Mit solchen Reaktanz-Reaktionen kann sich auch die Energiepolitik konfrontiert sehen, wenn zum Beispiel Benzinpreise erhöht oder Innovationen wie klimaneutrale Heizungen eingeführt werden sollen.

Nadja Contzen, Leiterin der Eawag-Gruppe «Environmental Health Psychology» (Umweltgesundheit und Psychologie), untersucht daher zusammen mit Forschenden der «Environmental Psychology Group» der Universität Groningen in den Niederlanden, wie Menschen reagieren, wenn ihre Entscheidungsfreiheit durch energiepolitische Massnahmen eingeschränkt wird. Insbesondere interessiert sie, ob sich Innovationen besser mit obligatorischen oder mit freiwilligen Massnahmen einführen lassen. Denn auch wenn obligatorische Vorschriften in der Regel effektiver sind, kann der Protest der Bevölkerung am Ende so gross sein, dass die Politik von ihren Plänen zurückweichen muss und die Vorschriften nicht einführen kann.

Individuelle Werte beeinflussen die emotionalen Reaktionen

«Neben der Reaktanz hat uns der Einfluss der persönlichen Werte der betroffenen Personen interessiert. Daher haben wir die etablierte Reaktanz-Theorie mit dem von uns entwickelten Werte-Modell kombiniert», sagt Contzen. Das VICE-Model (Value-Innovation-Congruence model of Emotional responses) besagt, dass die persönlichen Werte beeinflussen, wie Menschen auf politische Massnahmen zur Förderung einer Innovation reagieren. Stimmen die eigenen Werte mit den Zielen der Innovation überein, entstehen demnach positive Emotionen. Widersprechen sich Werte und Innovation hingegen, entwickeln sich eher negative Emotionen.

Ein Beispiel: Menschen, denen die Natur und der Schutz der Umwelt wichtig sind, stehen klimafreundlichen Innovationen eher aufgeschlossen gegenüber. Menschen, die dagegen primär auf ihr Wohlergehen und ihre Finanzen achten, reagieren meist ablehnend oder sogar verärgert auf neue Forderungen der Energiepolitik. Denn viele dieser Massnahmen ziehen nach sich, dass die Bürgerinnen und Bürger tiefer ins Portemonnaie greifen müssen.

Feldexperiment in den Niederlanden

Um die theoretische Weiterentwicklung – die Kombination des Reaktanz-Modells mit dem Werte-Modell – auch in der Realität zu testen, führte das Forscherteam ein Feldexperiment in einem Quartier der Stadt Groningen in den Niederlanden durch. Per Zufall wählten die Forschenden in einem Quartier Häuser aus und verteilten an deren Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer Fragebögen.

In Absprache mit der Gemeinde wurden zuerst alle Teilnehmenden im Fragebogen informiert, dass die Gemeinde den Wechsel von Gasheizungen zu klimafreundlichen Luft-Wasser-Wärmepumpen vorantreiben wolle und dafür verschiedene Optionen diskutiere. Danach wurde bei einem Teil der Befragten die «obligatorische Option» weiter ausgeführt: Die Gemeinde überlege, mittels einer Verordnung alle Hauseigentümer zum Einbau einer Wärmepumpe zu verpflichten. Beim anderen Teil der Befragten wurde die «freiwillige Option» beschrieben: Die Gemeinde denke darüber nach, mithilfe von Informationskampagnen die Hauseigentümer zum Wechsel zu Wärmepumpen zu motivieren. Am Schluss folgten Fragen zur Reaktion der Teilnehmenden. 97 ausgefüllte Fragebögen konnten die Forschenden schliesslich auswerten.

Mehr Mut zu Vorschriften

Die Ergebnisse des Feldexperiments hat das Forscherteam nun in der Fachzeitschrift «Energy Research & Social Science» publiziert. Das wichtigste Fazit: Praktisch alle empfanden die geplante Verordnung, als Einschränkung ihrer Freiheit. Die negativen Emotionen und der Widerstand gegen die Politik waren jedoch schwach. Es gab keinen Protest im Quartier, noch nicht mal Beschwerden, weder gegenüber den Forschenden noch gegenüber der Gemeinde. Die Forschenden kommen zum Schluss, dass die Hauseigentümer eine Wärmepumpenpflicht wohl akzeptieren würden, wenn auch widerwillig.

«Die Politik ist aus Angst vor Protesten oft zurückhaltend, wenn es um neue Vorgaben geht », sagt Contzen. «Gemäss unserer Studie könnten sie aber manchmal mehr wagen und Vorschriften erlassen, auch wenn es erstmal Widerstand gibt.» Aus anderen Studien weiss man zudem, dass die Reaktanz meist schnell abnimmt, wenn Massnahmen erstmal definitiv entschieden sind. Ein weiterer Grund, in der Politik etwas mutiger zu entscheiden.

Die Studie zeigt zudem, dass neben der Reaktanz auch die individuellen Werte die Reaktionen beeinflussen. Wie das VICE-Modell vorhersagt, waren die negativen Emotionen insbesondere gegen die Verordnung umso grösser, je wichtiger den Befragten ihr eigenes Wohlergehen war. Hat man vor allem die eigenen Finanzen im Blick, sind aufgezwungene Kosten für die Anschaffung einer Wärmepumpe eher ärgerlich.

«Überrascht waren wir von den Reaktionen der Personen mit starkem Interesse am Umweltschutz», sagt Contzen «Wir hatten erwartet, dass es für sie attraktiv ist, wenn alle Haushalte eine Wärmepumpe einbauen müssen, weil sich damit der CO2-Ausstoss effektiver reduzieren lässt.» Die umweltbewussten Personen reagierten aber keineswegs erfreut auf eine mögliche Wärmepumpenpflicht, im Gegenteil, tendenziell weckte auch bei ihnen die eingeschränkte Entscheidungsfreiheit eher Widerstand.

Effektivität von Vorschriften betonen

Die Forschenden nahmen dieses Ergebnis genauer unter die Lupe und fanden heraus, dass die befragten Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer beide Optionen als gleich gut für den Klimaschutz einordneten. Aus diesem Grund konnte die obligatorische Option vermutlich keine positiven Emotionen bei den umweltbewussten Personen hervorrufen.

«Will die Politik die Akzeptanz innovativer Technologien vorantreiben, könnte sie daher stärker betonen, dass sich mit Vorschriften das Klima besser schützen lässt als mit unverbindlichen Empfehlungen», sagt Contzen. Damit liesse sich zumindest die Akzeptanz bei denjenigen Personen fördern, die Wert auf Umweltschutz legen. «Will man dagegen Personen überzeugen, die vermehrt auf ihr Portemonnaie achten oder auch achten müssen, sind vor allem Subventionen vorteilhaft.»

Titelbild: ericcrama, istock

Originalpublikation

Contzen, N.; Handreke, A. V.; Perlaviciute, G.; Steg, L. (2021) Emotions towards a mandatory adoption of renewable energy innovations: the role of psychological reactance and egoistic and biospheric values, Energy Research and Social Science, 80, 102232 (15 pp.), doi:10.1016/j.erss.2021.102232, Institutional Repository