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Medien und die Praxis interessieren sich nicht immer für dieselben Themen

14. Februar 2019 | Stephanie Schnydrig

Medienberichte widerspiegeln nicht immer das, womit sich Organisationen, Ämter, Kantone und Gemeinden im Alltag beschäftigen. Das zeigt eine Studie des Umweltsozialwissenschaftlers Mario Angst.

Kaum ein Tag im Sommer 2018 verging ohne eine Meldung über die anhaltende Trockenheit in der Schweiz. Immer wieder warfen Zeitungen, Radio und Fernsehen die Fragen auf: Wie viel Wasser brauchen die Natur, die Landwirtschaft und die Bevölkerung? Wo bestehen Sparmöglichkeiten? Und welchen Regionen mangelt es besonders an Wasserreserven? Demgegenüber befassen sich Schweizer Gemeinden, Kantone, Ingenieurbüros, NGOs und Ämter weniger mit dem Zusammenhang zwischen Trockenheit und Massnahmen zum Wassersparen. Das zeigt eine Umfrage des Umweltsozialwissenschaftlers Mario Angst, an der über 350 Praxisvertreter von Organisationen teilnahmen, die im Wasserbereich tätig sind.

Mario Angst, der beim Eawag-Gruppenleiter Manuel Fischer seine Doktorarbeit geschrieben hat, untersuchte zum einen, welche wasserrelevanten Themen in Medienberichten gemeinsam genannt werden. Zum anderen, ob sich diese Verknüpfungen in den Tätigkeiten von Akteuren im Schweizer Wassersektor wiederfinden lassen. Das Forschungsprojekt wurde vom Schweizer Nationalfonds finanziert.

Themenzusammenhänge und nicht einzelne Themen zu untersuchen ist wichtig. «Die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen bestehen heutzutage aus vielen verschiedenen, miteinander zusammenhängenden Problemen, so etwa der Klimawandel oder der Verlust von Biodiversität», sagt Manuel Fischer.

20'000 Zeitungsartikel durchforstet

Für die Medienanalyse nutzte Mario Angst ein Archiv von Artikeln der Neuen Zürcher Zeitung. Die Herausforderung war, nur diejenigen Artikel herauszufiltern, die für die Forschungsfrage relevant waren. «Hochwasserereignisse im Ausland oder Wanderberichte um einen See interessierten mich natürlich nicht», erklärt Angst. Deshalb programmierte er einen Algorithmus, der über 20'000 Zeitungsartikel durchkämmte und daraus einige hundert auswählte. Aufgrund von diesen erstellte er ein Netzwerk, das sämtliche Verknüpfungen von Wasserthemen in NZZ-Artikeln aufzeigt. Das Ergebnis verglich er mit jenem Netzwerk, das aufgrund der Antworten aus den Umfragen in der Praxis resultierte.

Invasive Arten und Flussrevitalisierungen

«Die Diskrepanz war zum Teil erstaunlich», sagt Mario Angst. Wie bei der zu Beginn erwähnten Geschichte: In den Medien sei der Zusammenhang Trockenheit und Massnahmen zum Wassersparen omnipräsent. Anders in der Praxis. Zwar existieren Strategien und Konzepte in den obersten Verwaltungsebenen, aber konkrete Massnahmen zum Wassersparen bei Trockenheit seien in Gemeinden oder Kantonen (noch) kaum etabliert. Auch Fracking gekoppelt mit Trinkwasserverschmutzung findet in den Medien öfters Eingang in einen Artikel als dies für die Praxis relevant scheint.

Umgekehrt interessieren sich Medien für gewisse praxisrelevante Zusammenhänge nur wenig. Dazu gehören etwa invasive Arten, die bei Flussrevitalisierungen berücksichtigt werden müssen. Oder der Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichen Einträgen in die Umwelt und der Verschmutzung von Grundwasser.

«Medien unterstützen Agenda-Setting»

«Die Diskrepanzen sind ganz natürlich», resümiert der Eawag-Politikwissenschaftler Manuel Fischer. Die Medien seien der Praxis oftmals einen Schritt voraus, würden die Ängste der Bevölkerung viel zeitnaher aufnehmen, erklärt er. Typisch hierfür ist die Debatte ums Fracking: Das Thema wurde in den Medien im Zusammenhang mit Trinkwasserverschmutzung immer wieder aufgegriffen. In der Praxis jedoch kaum, schlicht, weil es in der Schweiz in letzter Zeit keine Fracking-Projekte gab. «Vielleicht auch darum, weil der Politik und Praxis dank der Mediendebatte klar wurde, dass die Bevölkerung dem Fracking sehr kritisch gegenübersteht», sagt Fischer.

So seien Medien fürs Agenda-Setting der Politik sehr wichtig. «Werden kontroverse und heikle Themen immer wieder aufgenommen – wie etwa regionaler Wassermangel – ergreifen die Politik und Praxis eher Massnahmen», sagt Fischer. Hingegen sei es auch völlig verständlich, dass Medien konfliktfreie oder abstrakte Themen wenig aufgreifen.

So betont Manuel Fischer denn auch: «Diese Studie bewertet nicht, ob sich die Praxis oder die Medien mit nicht-relevanten Themen beschäftigen». Vielmehr seien die Resultate der Studie wichtig für künftige Forschungsprojekte. «Um den Puls der Schweiz zu messen, ist es sinnvoll, sowohl Umfragen in der Praxis als auch Medienanalysen durchzuführen.»

Die Linien repräsentieren die Verknüpfungen von verschiedenen Wasserthemen in den Medien (links) und im Schweizer Wassersektor. Die verschiedenen Farben zeigen Themengruppen an.
(Quelle: Mario Angst, 2019)

Originalpublikation

Angst, M. (2019) Networks of Swiss water governance issues. Studying fit between media attention and organizational activity, Society and Natural Resources, 32(12), 1416-1432, doi:10.1080/08941920.2018.1535102, Institutional Repository