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Fluten in der Stadt vorhersagen

12. Februar 2018 | Irene Bättig, Andri Bryner

Starke Niederschläge können in städtischen Gebieten zu Überflutungen führen. Um solche Vorgänge zu modellieren, braucht es Daten von Überschwemmungsereignissen. Doch auf Strassen und Plätzen werden weder Wasserstände noch Fliessgeschwindigkeiten gemessen. Diese Werte will die Eawag nun aus bestehenden Videos und Fotos berechnen.

Wenn über einer Stadt Jahrhundertregen niedergeht, bricht Chaos aus. Strassen werden zu reissenden Bächen, aus der Kanalisation drücken stinkende Brühen an die Oberfläche – die Kanalisation kann nicht das ganze Wasser schlucken, das auf Strassen, Plätze und Dächer prasselt. So geschehen ist dies etwa im Juli 2017 in Zofingen, als bei einem Unwetter die ganze Altstadt überflutet wurde. Es gibt zwar Computermodelle, die solche Vorgänge simulieren. Doch bis anhin fehlen Daten von Flutereignissen, um die Modelle zu kalibrieren, validieren und zu verbessern. Diese Datenlücke zu schliessen, ist das Ziel des Projekts Calico (Calibration of coupled urban flood models with experimental surface runoff data), das vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt wird. Basis dafür bilden Videoaufnahmen, beispielweise von Verkehrsüberwachungskameras, und Fotos von Facebook, Instagram und Co.

Experiment auf Übungsareal der Armee

Um einen Referenz-Datensatz zur Methodenentwicklung zu generieren, hat ein Team um João Leitão und Doktorand Matthew Moy de Vitry von der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft Flutexperimente durchgeführt. Auf einem Armeetrainingsgelände, wo Soldaten und die Feuerwehr sonst trainieren, Menschen aus überfluteten Gebäuden zu retten, fanden die Forschenden eine ideale Infrastruktur mit Mauern, Kellerräumen, Kanälen und Schächten und einer befestigten Oberfläche, die als Strassenraum diente. Sie bestückten die Anlage mit verschiedenen Sensoren, Video- und Fotokameras und platzierten mittendrin ein Fahrrad: «Anhand von Gegenständen wie Fahrrädern können wir den Wasserstand auf einem Foto oder Video abschätzen», erklärt João Leitão. «Nun trainieren wir Computer, dies auch zu tun.»

Vom Bild zur Zahl

Fast 30-mal haben die Forschenden die experimentelle Stadt geflutet und unzählige Daten gesammelt. Nun entwickeln sie Algorithmen, um aus den Videodaten einerseits die Fliessgeschwindigkeit zu bestimmen und andererseits einen Trend zu berechnen, ob das Wasser steigt, sinkt oder unverändert bleibt. «Wir unterteilen die Videoaufnahme in sequentielle Bilder und ein Algorithmus erkennt anhand eines künstlichen neuronalen Netzes, welcher Anteil in jedem Bild mit Wasser bedeckt ist», erklärt Leitao das Prinzip. Den Algorithmus, um anhand von Fahrrädern auf Fotos den Wasserstand zu bestimmen, entwickelt ein ETH-Student im Rahmen seiner Masterarbeit. Validiert werden die Berechnungen, indem die Forschenden die Resultate mit den Sensor-Messwerten vergleichen.

Vorsorge dank besserer Vorhersagen

Mit den Daten aus Videos und Fotos von Flutereignissen soll es möglich sein, verlässliche Computermodelle zu regenbedingten Überschwemmungen in städtischen Gebieten zu entwickeln. So könnten Behörden die gefährdeten Gebiete identifizieren und die Bevölkerung frühzeitig warnen.

Zur Entwicklung solcher Modelle trägt auch ein besseres Verständnis bei, wie die Niederschläge in städtischen Gebieten niedergehen und wie sie über das Entwässerungsnetz abfliessen. Das untersucht die Eawag im «urbanhydrologischen Feldlabor» in Fehraltorf, dem UWO (für urban water observatory).