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Fracking in der Schweiz? Im Zweifelsfall nein!

25. Juni 2015 | Manuel Fischer und Karin Ingold

Die Gasgewinnung mittels Fracking stösst in der Schweiz vielerorts auf Opposition. Auch wenn kaum konkrete Projekte existieren, haben einzelne Kantone bereits Verbote beschlossen. Die sozialwissenschaftliche Analyse der politischen Prozesse hilft zu verstehen, wie es zu solchen Entscheidungen kommt. Ein häufiges Motiv: Fehlt das Wissen, kommt das Vorsorgeprinzip zum Tragen.

Die grüne Berner Nationalrätin Aline Trede hat 2013 im Postulat 13.3108 «Fracking in der Schweiz» eine Positionierung des Bundesrats verlangt [1]. Spätestens seither steht die umstrittene Technik zur Förderung von Erdgas auch in der Schweiz auf der politischen Agenda. Bei der hydraulischen Frakturierung, kurz Fracking, wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck in Schiefergesteinsschichten gepresst, um diese durch unzählige kleine Risse (Frakturen) aufzubrechen. Die Frakturen entstehen entlang horizontal verlaufender Bohrungen im Untergrund. Durch sie können grosse Mengen an Gas extrahiert werden, das im Schiefer diffus verteilt vorkommt [Abb. 2].

Emotionale Diskussionen

Vor allem in den USA hat diese Technik einen regelrechten Gas-Boom ausgelöst, der die Rohstoffpreise gesenkt und die Wirtschaft in einigen Staaten (zum Beispiel in Texas) angekurbelt hat. Daher erstaunt es kaum, dass andere Länder sich für diese Technik interessieren und entsprechende Projekte diskutieren. So ist Fracking unter anderem in Grossbritannien, Frankreich und Deutschland ein Thema. Die Diskussionen sind meist konfliktreich und emotional. Es werden negative Konsequenzen für die Umwelt befürchtet. Denn falsch angewendet kann Fracking das Grundwasser verunreinigen oder Emissionen des Klimagases Methan verursachen. Zudem ist die Verwendung und Entsorgung der Chemikalien ökologisch heikel [2, 3]. Aus diesen Gründen verlangte das Postulat Trede unter anderem vom Bundesrat abzuklären, welche Gesetzesgrundlagen geschaffen werden müssten, um die Exploration und Gewinnung von Schiefergas einem zehnjährigen Moratorium zu unterstellen.

Nach geltendem Recht sind die Kantone für die Nutzung und Ausbeutung der Ressourcen und Mineralien im Untergrund verantwortlich. Dabei ist der Einsatz des Frackings nicht speziell geregelt, sondern fällt unter die normalen Bergregalgesetzgebungen und Konzessionierungskompetenzen der Kantone. Nur die Umweltverträglichkeitsprüfung, der entsprechende Projekte unterzogen werden müssen, ist vom Bund auferlegt. Falls Fracking verboten werden soll, muss dies also das Resultat eines politischen Prozesses auf Kantonsebene sein. Kollektive Akteure wie Interessengruppen, Parteien, Regierungen und Verwaltungen verhandeln und erarbeiten allfällige Regulierungen. Im Rahmen solcher Politikprozesse bilden Akteure mit ähnlichen Zielen meist Koalitionen. Um das Entstehen politischer Regulierungen zu verstehen, lohnt es sich deshalb, den Verhandlungsprozess zwischen den Akteuren politikwissenschaftlich zu analysieren [4]: Was ist die politische Ausgangslage in einzelnen Kantonen? Welche Koalitionen von Akteuren setzen sich für oder gegen ein Verbot der Fracking-Technologie ein? Wie gehen sie dabei vor?

Drei Kantone mit unterschiedlichen Ausgangslagen, aber ähnlichem Resultat

In der Schweiz könnte vor allem in den Ebenen des Mittellandes ein Potenzial für die Gasförderung mittels Fracking bestehen [5, 6]. Der genaue Umfang ist allerdings schwierig abzuschätzen. Das Thema ist in den Kantonen dementsprechend unterschiedlich stark politisiert. Nur im Thurgau sowie in Genf, Freiburg, Bern, Waadt und Neuenburg hat es bis heute mindestens zwei politische Vorstösse dazu gegeben. Im Rahmen eines international vergleichenden Projekts haben wir die politische Debatte in Neuenburg, Waadt und Bern untersucht [7]. Zuerst rekonstruierten wir mithilfe von amtlichen Publikationen, Zeitungsartikeln und anderen Dokumenten den politischen Prozess in jedem Kanton.

Die drei Kantone unterschieden sich sowohl in ihren Ausgangslagen als auch in den politischen Prozessen. Im Kanton Neuenburg interessierte sich ab 2008 ein multinationaler Gaskonzern dafür, mit einer Schürfbewilligung das Potenzial für Gasbohrungen im Val de Travers auszuloten. Aus dem Tal beziehen 70 Prozent der Kantonsbevölkerung ihr Trinkwasser. Obwohl Vorkommen von konventionellem Erdgas und Schiefergas vermutet werden, wollte die Firma offiziell nur konventionelle Probebohrungen evaluieren. Trotzdem formte sich in den betroffenen Gemeinden politischer Widerstand gegen das geplante Projekt. Öffentliche Protestaktionen und parlamentarische Initiativen führten 2014 schliesslich zu einem Moratorium für sämtliche Gasförderungsprojekte. Für die kommende Gesetzesrevision ist sogar die Einführung eines Verbotes geplant.

Im Kanton Waadt besteht bereits seit 2011 ein Moratorium für Fracking-Projekte. Als Folge eines parlamentarischen Vorstosses, der mangelnde Kenntnisse, zu hohe Risiken und eine fehlende nationale Koordination kritisierte, vergibt der Kanton zurzeit keine Schürfbewilligungen mehr. Zuvor allerdings hielten drei Firmen entsprechende Konzessionen, eine davon sogar eine Bohrkonzession. Diese Bohrungen sind momentan ebenfalls eingestellt. Ein definitives Verbot ist vorläufig aber nicht geplant.

Im Kanton Bern besitzen zwei Firmen Schürfbewilligungen, ohne dass ein konkretes Fracking-Vorhaben besteht. Nachdem parlamentarische Vorstösse die Regierung nicht zu einem Verbot solcher Projekte bewegen konnten, lancierte die Grüne Partei eine entsprechende Volksinitiative [Abb. 1]. Gleichzeitig wurde eine parlamentarische Motion eingereicht. Dies führte dazu, dass die Regierung sich schliesslich doch für ein Verbot aussprach. Sie will es bei der nächsten Überarbeitung ins Bergregalgesetz aufnehmen.

Abgrenzung und Geschlossenheit der Koalitionen entscheidend

Ziel unserer Analyse war es nun, zu verstehen, wie diese politischen Beschlüsse (Regulierungen wie Konzessionierungen, Moratorien und Verbote) zustande kamen. Dazu untersuchten wir die Koalitionen der Akteure und deren Strategien. Wir identifizierten in jedem Kanton die in den Politikprozess involvierten kollektiven Akteure: Parteien, Interessengruppen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Ämter oder Wissenschaftsvertreter. Ergänzt wurde diese Liste mit Akteuren, die Entscheidungskompetenzen beim Thema Fracking haben. Dies ergab eine Liste von 25 (Waadt), 27 (Bern) und 34 (Neuenburg) Akteuren. In einem Fragebogen sollten diese unter anderem ihre politischen Positionen bezüglich Fracking und ihre Kontakte zu anderen Akteuren angeben sowie deren Einfluss beurteilen. Mithilfe dieser Daten lassen sich Koalitionsstrukturen rekonstruieren.

Aufgrund der ähnlichen Regulierungen erstaunt es kaum, dass sich in allen drei Kantonen ein vergleichbares Bild zeigt: Eine relativ grosse Koalition von Akteuren spricht sich jeweils für ein Moratorium oder gar für ein Verbot des Fracking-Verfahrens aus (Antifracking-Koalition). Dazu gehören jeweils die Mitte-Links-Parteien (alle ausser FDP und SVP), lokale und kantonale Natur- und Umweltschutzorganisationen, Stadtregierungen, Stellen der kantonalen Verwaltung sowie einzelne Bundesämter (zum Beispiel das Bundesamt für Umwelt). In allen drei Kantonen steht dieser grossen Antifracking-Koalition eine kleine Gruppe gegenüber, die Fracking als weniger problematisch beurteilt und die Technologie nicht grundsätzlich verbieten möchte (Antiverbot-Koalition). In dieser Koalition finden sich vor allem die an Projekten interessierten Gasunternehmen, die FDP und die SVP (ausser im Kanton Neuenburg) sowie kantonale Wirtschaftsverbände (nur in der Waadt) und vereinzelte Bundesämter (zum Beispiel das Bundesamt für Energie).

Dass im Kanton Waadt im Gegensatz zu Bern und Neuenburg noch kein definitives Verbot vorgesehen ist, hat Gründe. Erstens ist die Antiverbot-Koalition in diesem Kanton stärker als in den anderen Kantonen. So konnte sie den politischen Prozess zu knapp 40 Prozent beeinflussen, während ihre Pendants in Bern und Neuenburg nur rund 30 Prozent erreichten [Abb. 3]. Zweitens ist das Thema in der Waadt generell weniger konfliktbehaftet. Es kam beispielsweise zu keiner öffentlichen Mobilisierung durch Proteste wie in Neuenburg oder durch eine Volksinitiative wie in Bern. Zudem ist die Polarisierung zwischen der Antifracking-Koalition und der Anti-Verbot-Koalition schwächer. Die Koalitionsgrenzen verlaufen weniger eindeutig.

Besonders ausgeprägt sind die inhaltlichen Konflikte zwischen den Koalitionen in Bern. Überdies sind sich die Firmen und die rechtsbürgerlichen Parteien innerhalb der Antiverbot-Koalition kaum einig. Ohne geschlossene Koalition sind Akteure in Politikprozessen aber meist chancenlos. Deshalb ist es wenig erstaunlich, dass sich die geschlossenere und stärkere Antifracking-Koalition in Bern durchsetzen konnte. In Neuenburg zeigt die starke Einigkeit innerhalb der Koalitionen, weshalb eine Kompromisslösung schwierig zu erreichen war und sich die stärkere Koalition durchgesetzt hat [Abb. 4]. Das Mass an Abgrenzung zwischen den Koalitionen sowie an Geschlossenheit innerhalb der Koalitionen waren ausschlaggebende Faktoren, dass im Kanton Waadt ein Moratorium zustande kam, während in den anderen beiden Kantonen ein Verbot beschlossen wurde.

Abb. 4: Durchschnittswerte für die Übereinstimmung (grün) und Konflikte (rot) innerhalb und zwischen den Koalitionen. Lesebeispiel: Innerhalb der Antifracking-Koalition im Kanton Neuenburg beträgt die Übereinstimmung 24 Prozent, die Konflikte machen 2 Prozent aus. 100 Prozent wären erreicht, wenn sämtliche Akteure innerhalb dieser Koalition angegeben hätten, mit allen anderen Akteuren innerhalb der Koalition übereinstimmende Positionen zu haben

«Nicht in meinem Garten»

Neben den Koalitionsbeziehungen und den Konfliktniveaus ist bei politischen Entscheiden zum Fracking auch der Austausch technischen Wissens entscheidend. Die Auseinandersetzung mit neuen, wissenschaftlich und technisch komplexen Themen stellt für politische Akteure eine Herausforderung dar. Deshalb kommt wissenschaftlichen Institutionen eine entscheidende Rolle zu, um technisches Wissen bereitzustellen. Es ist wahrscheinlich, dass politische Akteure in ungewissen Situationen das Vorsorgeprinzip bevorzugen. Wenn sich negative Konsequenzen für Mensch und Umwelt nicht ausschliessen lassen, wird eine neue Technologie oft mit einem Moratorium belegt oder verboten, bis neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Dieses Vorgehen konnten wir in allen drei Kantonen feststellen.

Die hier umrissenen Forschungsresultate deuten darauf hin, dass es in der Schweiz in Zukunft kaum zu einer Gasförderung mit Fracking kommen wird. Die Ablehnung gegenüber der Technologie, die mit Sicherheit auch stark mit der negativen Medienberichterstattung in den USA zusammenhängt, geht weit über die Umweltschutzorganisationen und die Grüne Partei hinaus. Die kritischen Akteure sind nicht nur zahlenmässig überlegen, sondern verfügen in der Schweiz auch über ein spezifisches politisches Instrumentarium, um sich gegen entsprechende Projekte zu wehren. Die ausgeprägten direktdemokratischen Möglichkeiten und der Föderalismus stellen sicher, dass nur sehr breite Mehrheiten ein politisches Vorhaben erfolgreich umsetzen können. Hinzu kommt das Nimby-Phänomen («Not in my backyard»): Selbst wenn eine Mehrheit der Akteure in der Schweiz Fracking-Projekte gutheissen würde, möchte kaum jemand die entsprechenden Bohrungen in seiner Umgebung wissen. Lokaler Widerstand ist bei solchen Projekten sehr wahrscheinlich, wie das Beispiel Neuenburg zeigt. Letztlich ist im Mittelland wohl auch die Bevölkerungsdichte und die Abhängigkeit vom Grundwasser zu hoch, das ökonomische Potenzial bei den eben beschriebenen Hürden dagegen zu gering.

Die Schweizer Kantone stehen mit ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Fracking nicht alleine da. So hat beispielsweise Frankreich das Verfahren verboten. Auch in Deutschland steht ein Verbot zur Diskussion. In Schottland und Wales ist Fracking ebenfalls nicht mehr erlaubt. Und obwohl die Zentralregierung in London die Ausbeutung von Schiefergas explizit fördert, scheitern entsprechende Projekte auch in England an lokalem Widerstand. Nicht zuletzt gibt es auch in den USA trotz Fracking-Boom lokale oder regionale Verbote. So ist der Einsatz dieser Technologie zum Beispiel im Bundesstaat New York seit 2014 nicht mehr möglich.

Eawag-Faktenblatt zum Fracking
Die Eawag und das Ökotoxzentrum der Eawag und ETH Lausanne haben ein Faktenblatt zur Fracking-Technik herausgebracht. Dieses gibt einen Überblick über den Stand des Wissens und legt ein Schwergewicht auf mögliche Auswirkungen auf die Umwelt.
Faktenblatt

Literaturangaben

[1] Trede A. (2013): Postulat 13.3108 «Fracking in der Schweiz». Schweizer Parlament

[2] Howarth R. W., Ingraffea A., Engelder T. (2011): Natural gas: Should fracking stop? Nature 477 (7364), 271–275typo3/

[3] Jackson R. B., Vengosh A., Carey J. W., Davies R. J., Darrah T. H., O'Sullivan F., Pétron G. (2014): The environmental costs and benefits of fracking. Annual Review of Environmental Resources 39, 327–362typo3/

[4] Sabatier P. A. & Weible C. M. (2014): Theories of the policy process. Westview Presstypo3/

[5] Leu W. (2013): Gasexploration in der Schweiz: Wieso die heutigen Anstrengungen? Akteure, Projekte, neue Technologien und Potenzial der unkonventionellen Gasressourcen. Kolloquium Swisstopotypo3/

[6] Pasquier F., Burkhard M., Mojon P. O., Gogniat S. (2013): Erläuterungen zum Geologischen Atlas der Schweiz 1:25 000, 162 Travers (CN 1163). Swisstopotypo3/

[7] Ingold K. & Fischer M. (2015): Belief conflicts and coalition structures driving sub-national policy responses: the case of Swiss regulation of unconventional gas development. In Weible et al.: Comparing coalition politics: Policy debates on hydraulic fracturing in North America and Western Europe. Palgrave.