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Funktioniert der Fischbesatz in den Schweizer Seen?

21. April 2016 | Corinne Schmid und Bänz Lundsgaard-Hansen

Im letzten Jahrhundert beeinträchtigten hohe Nährstoffeinträge in die Schweizer Gewässer die natürliche Fortpflanzung von Felchen oder Seesaiblingen in manchen Seen. Mit Besatzmassnahmen hat man bisher versucht, die Fischbestände zu stützen und die Fangzahlen aufrechtzuerhalten. Wie gut das gelingt, hängt von der Art und vom See ab.
Von Corinne Schmid und Bänz Lundsgaard-Hansen

Felchen und Seesaiblinge gehören wie die Forelle zur Ordnung der lachsartigen Fische (Salmoniformes) und sind wichtige Fische für die Berufs- und Angelfischerei. Sie mögen kühles und sauerstoffreiches Wasser und so finden sie in den Seen am Schweizer Alpenrand ideale Lebensräume vor. Viele Arten laichen in eher tiefem Wasser und sind für eine erfolgreiche Fortpflanzung auf Kies und gute Sauerstoffverhältnisse angewiesen. Die Sauerstoffverfügbarkeit wurde im letzten Jahrhundert durch die erhöhten Nährstoffeinträge (Eutrophierung) jedoch stark reduziert. Durch Abwässer und die landwirtschaftliche Düngung gelangten grosse Mengen an Nährstoffen in unsere Gewässer. Ein erhöhter Phosphor- und Stickstoffeintrag führt in einem See rasch zu mehr Algen- und Pflanzenwachstum. Wenn diese Algen und anderes organisches Material später absterben, sinken sie auf den Seeboden, wo sie von Bakterien und anderen Mikroorganismen abgebaut werden. Der Abbauprozess braucht viel Sauerstoff. Dieser kann in der Nähe des Seegrunds knapp werden – ganz besonders in grossen Tiefen, die schlechter mit sauerstoffreichem Oberflächenwasser versorgt werden. Für tief laichende Fischarten kann das fatale Folgen haben: Die abgelegten Eier werden nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt und sterben. Die natürliche Fortpflanzung wird dadurch schwer beeinträchtigt oder sogar unmöglich.

Die Seen in der Schweiz waren unterschiedlich stark von der menschgemachten Eutrophierung betroffen (Abb. 2). Durch strengere Auflagen in der Landwirtschaft, den Ausbau der Kläranlagen und das Phosphatverbot für Waschmittel in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat sich die Wasserqualität stark verbessert und die Phosphorwerte befinden sich heute wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Eutrophierung. Doch gibt es auch schon im Sediment am Gewässergrund genügend Sauerstoff für eine erfolgreiche Ei-Entwicklung von lachsartigen Fischen? Mit gezielten Erfolgskontrollen können wir herauszufinden, ob die Naturverlaichung der Seesaiblinge und Felchen wieder funktioniert oder ob Besatzmassnahmen zur Stützung der Bestände nach wie vor nötig sind.

Abb. 2: Die Entwicklung des Phosphorgehalts in vier Schweizer Seen von 1950 bis 2010. Eine erhöhte Nährstoffbelastung hat erhebliche Auswirkungen auf die Sauerstoffverhältnisse in grösseren Tiefen und kann die natürliche Fortpflanzung von lachsartigen Fischen stark einschränken oder verunmöglichen.
Daten: Bundesamt für Umwelt.

Wie markiert man eine Million Fische?

Werden pro Fliessgewässerabschnitt normalerweise einige hundert bis ein paar tausend Fische eingesetzt, können es in einem grösseren See schnell einige hundertausend bis mehrere Millionen Individuen sein. Für Erfolgskontrollen in Seen müssen also sehr viele Fische markiert werden. Eine geeignete Methode ist die Markierung der Gehörknöchelchen der Fische. Die Eier oder Jungfische werden dazu über mehrere Stunden bis zu einem Tag in Wasser mit einem Farbstoff gehältert. Dabei nehmen sie die Farbe auf, die sich in den kalziumhaltigen Knochenelementen ablagert und noch Jahre später in den Gehörknöchelchen der Fische unter einem speziellen Mikroskop klar erkennbar ist. (Abb. 3).

Abb. 3: Links ein nicht markiertes Gehörknöchelchen, rechts ein markiertes Gehörknöchelchen. Im Labor können die Besatzfische durch den abgelagerten Farbstoff
noch Jahre später als solche identifiziert werden.
(Fotos: AquaBios)

Eine Untersuchung mit dieser Markierungsmethode wurde kürzlich im Genfersee durchgeführt. Die Fangzahlen der Seesaiblinge und Forellen waren hier seit mehreren Jahren rückläufig, während dem die Felchenfänge stetig stiegen. Die internationale Kommission der Genfersee-Fischerei wollte den Ergebnissen der Fangstatistiken genauer auf den Grund gehen und herausfinden, woher die gefangenen Lachsartigen stammten. Waren die Besatzmassnahmen massgeblich für die Fänge verantwortlich oder stammte ein Grossteil der Seesaiblinge, Forellen und Felchen aus der natürlichen Fortpflanzung? Dazu wurden alle jungen Forellen und Seesaiblinge (je fast eine Million) an den Gehörknöchelchen markiert. In den Folgejahren wurden die Köpfe der Fische von den Anglern und Berufsfischern gesammelt und jeder gefangene Fisch konnte dann im Labor anhand der Markierung im Ohr als Besatz- oder Wildfisch identifiziert werden.

Genfersee: Besatzerfolg unterscheidet sich zwischen den Arten

Die Untersuchung zeigt, dass der Besatzerfolg im Genfersee sich von Fischart zu Fischart stark unterscheidet (Abb. 4). So war nur zirka jede fünfte der gefangenen Forellen markiert und stammte somit aus dem Besatzmaterial. Dabei wurden grosse Unterschiede festgestellt, was die Überlebenswahrscheinlichkeiten von verschiedenen Altersklassen und den Ort des Besatzes angingen: Brütlingsbesatz in die kleineren Zuflüsse war am erfolgreichsten. Solche gewässerspezifischen Informationen helfen, die laufende Besatzpraxis zu optimieren.

Bei den Seesaiblingen waren die Besatzmassnahmen erfolgreicher. Über zwei Drittel der rückgefangenen Fische stammten aus dem Besatzmaterial. Die meisten davon waren Nachkommen von Elterntieren aus dem Laichfischfang. Nur wenige stammten von einem domestizierten Zuchtstamm (Muttertierhaltung) ab. Dies bestätigt, was bereits andere Untersuchungen gezeigt haben: Jungfische von wilden Elterntieren sind besser für die natürlichen Bedingungen im Gewässer ihrer Eltern gerüstet als Nachkommen von einem domestizierten Zuchtstamm. Bei einer Domestizierung wird die Vielfalt im Erbgut mit jeder Generation kleiner und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Fische später an ändernde Umweltbedingungen, wie zum Beispiel höhere Temperaturen oder neue Krankheitserreger, anpassen können.

Bei den Felchenfängen im Genfersee sah es anders aus: Es wurden so viele Felchen gefangen, dass der Anteil eingesetzter Felchen maximal ein bis vier Prozent ausmachte. Dies zeigt klar, dass im Genfersee die natürliche Fortpflanzung der Felchen wieder sehr gut funktioniert und Besatzmassnahmen zwecks Stützung der Bestände nicht nötig sind. Diese werden gemäss Aussagen des Fischereiverwalters des Kantons Waadt, Frédéric Hofmann, deshalb nur noch im kleinen Rahmen zur Erhaltung des Knowhows und als Absicherung im Falle eines grossen Fischsterbens fortgeführt.

Wenig Geschiebe und Sauerstoff für die Saiblinge?

Dass bei den Seesaiblingen der grössere Teil der Fänge aus Besatzmaterial stammt, bei den Felchen dagegen fast ausschliesslich aus der Naturverlaichung, hat wahrscheinlich mit den unterschiedlichen Laichgebieten der beiden Arten zu tun. Früher fanden die Seesaiblinge ideale Laichbedingungen in den Bereichen der Zuflüsse, wo es durch das Geschiebe der Flüsse bis in grosse Tiefen stets ausreichend frischen Kies gab. Heute ist der Geschiebetrieb stark eingeschränkt, und so könnte der für die Fortpflanzung benötigte Kies Mangelware sein. Weil die Saiblinge eher tief laichen, könnten auch die Sauerstoffverhältnisse in grossen Seetiefen ein limitierender Faktor sein. Die Felchen hingegen laichen auch in weniger tiefen Bereichen an vielen verschiedenen Stellen und ihre Fortpflanzung funktioniert offensichtlich uneingeschränkt.

Werden aufgrund des Besatzes aber wirklich mehr Fische gefangen? Oder konkurrieren die Millionen von eingesetzten Besatzfische einfach die Fische aus der natürlichen Fortpflanzung und ersetzen einen Teil davon? Die Antwort auf diese Frage kann nur ein Besatzstopp geben. Erst dann würde sich zeigen, ob die Besatzmassnahmen wirklich nötig sind oder ob uns die Naturverlaichung alleine die gleichen oder langfristig vielleicht sogar höhere Fangzahlen bescheren könnte.

Abb. 4: Prozentualer Anteil von naturverlaichten und aus dem Besatz stammenden lachsartigen Fischen im Genfersee. Die Seesaiblinge wurden in drei Alterklassen (2+, 3+ und 4+) unterteilt. Die Besatzfische haben eine höhere Sterblichkeit als ihre aus der natürlichen Fortpflanzung stammenden Artgenossen, deshalb nimmt der Anteil Seesaiblinge aus der Naturverlaichung über die Jahre zu.
Daten: Internationale Kommission der Genfersee-Fischerei.

Felchen: Besatzerfolg unterscheidet sich zwischen den Seen

So wie sich der Besatzerfolg von Art zu Art unterscheidet, finden wir auch enorme Unterschiede bei Besatzmassnahmen der gleichen Art in unterschiedlichen Seen. Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung am Hallwilersee hat sich mit dem Besatzerfolg der Felchen befasst. Der fehlende Sauerstoff im Tiefenwasser des Sees hatte zum Aussterben der ursprünglichen Felchenpopulation geführt. Mit der Belüftung des Sees versucht man seit über 30 Jahren, die Sauerstoffsituation zu verbessern. Der Felchenbestand wird durch Besatzmassnahmen aufrechterhalten. Die Wasserqualität hat sich in den letzten Jahren stetig verbessert und die Felchenfänge sind wieder gestiegen. Bedeutet dies, dass die Naturverlaichung wieder funktioniert und die Besatzmassnahmen eingestellt werden können? Um diese Frage zu beantworten wurden im Auftrag der Sektion Jagd und Fischerei des Kantons Aargau die Gehörknöchelchen von allen Besatzfischen eines Jahrgangs markiert, um später deren Anteil am gesamten Jahrgang im See zu bestimmen. Die Resultate zeigen deutlich, dass die natürliche Fortpflanzung der Felchen im Hallwilersee immer noch stark beeinträchtigt ist. Über 90 Prozent der Jungfische stammten von den Besatzmassnahmen. Trotzdem: Es gibt wieder Felchen, die sich im Hallwilersee natürlich fortpflanzen können. Es ist zu erwarten, dass ihr Anteil mit einer weiteren Verbesserung des Sauerstoffhaushalts im See in Zukunft noch grösser werden wird.

Ein ähnliches Projekt wurde am Bodensee von der Universität Konstanz und der Fischereiverwaltung St. Gallen im Auftrag der Internationalen Bevollmächtigten Konferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) durchgeführt. Im Jahr 2003 wurden die Besatzfische an den Gehörknöchelchen markiert und ihr Anteil am Jahrgang nach einem halben Jahr überprüft. Über 60 Prozent der gefangenen Felchen der Altersklasse 0+ stammten aus dem Besatzmaterial. Wie viele dieser Fische gingen den Fischern wohl später in die Netze oder an den Haken? Am Bodensee wurde zwei und drei Jahre später beim Laichfischfang der Anteil markierter Felchen erneut überprüft. Das Resultat fiel ähnlich aus wie bei den «0+»-Fischen. Die eingesetzten Felchen konnten sich über die Jahre hinweg im Bodensee anscheinend sehr gut halten.

Zu einem etwas anderen Ergebnis gelangte die Studie über die Seesaiblinge am Genfersee, die sich ebenfalls mit dieser Frage befasst hatte. Stammten dort bei den «2+»-Seesaiblingen noch über 80 Prozent der Fische aus dem Besatzmaterial, so waren es zwei Jahre später bei den «4+»-Fischen noch weniger als 50 Prozent (Abb. 4). Über die Jahre können sich hier die Fische aus der Naturverlaichung also besser behaupten als ihre Artgenossen aus der Brutanstalt.

Die Erfolgskontrollen von einer Fischart in unterschiedlichen Seen zeigen auf, dass der Besatzerfolg sehr stark von den im Gewässer herrschenden Bedingungen abhängt. Der Anteil eingesetzter Felchen ist im Genfersee dank der ausgezeichnet funktionierenden Naturverlaichung vernachlässigbar klein. Im Hallwilersee dagegen kann auf Besatzmassnahmen für den Fortbestand der Felchen momentan nicht verzichtet werden.

Die Richtung stimmt

Aber warum funktioniert die natürliche Fortpflanzung in manchen Gewässern nicht richtig, obwohl der Phosphorgehalt wieder im ursprünglichen Bereich liegt? Sofern die Laichplätze nicht anderweitig (zum Beispiel durch fehlenden Kies) beeinträchtigt sind, ist die Antwort vermutlich vor allem in den Sedimenten zu suchen, wo die Eier für die Entwicklung zu liegen kommen. In einst stark belasteten Seen sind die Sedimente nämlich immer noch praktisch sauerstofffrei und entziehen dem Wasser nach wie vor Sauerstoff. Bei in der Vergangenheit sehr stark belasteten Seen wie dem Hallwiler-, Baldegger- oder Sempachersee dürfte dieser Zustand noch anhalten. Aber: Die gut funktionierende Naturverlaichung der Felchen im früher recht stark belasteten Genfersee lässt hoffen, dass in vielen anderen weniger belasteten Seen die Fortpflanzung ebenso gut oder sogar noch besser funktioniert. Geplante Erfolgskontrollen zum Besatz am Boden- und Hallwilersee, sowie hoffentlich an weiteren Seen, werden in Zukunft Aufschluss darüber geben, ob die natürliche Fortpflanzung einzelner Arten in den verschiedenen Seen funktioniert oder ob stützende Massnahmen weiterhin nötig sind.

Dieser Artikel basiert auf mehreren Untersuchungen und Berichten. Auf Anfrage stellen die Autoren Interessenten diese gerne zu.