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Genetische Entwicklung durch Wirt-Parasit-Beziehung beeinflusst – aber nicht nur!

2. Oktober 2019 | Andri Bryner

Rasche Veränderungen im Genom zweier eng vernetzter Arten können nicht allein durch evolutionäre Vorgänge wie den Selektionsdruck erklärt werden. Eine ebenso wichtige Rolle spielen ökologische Abläufe, zum Beispiel die Dynamik in der Populationsgrösse. Das hat ein internationales Forscherteam unter Leitung der Eawag und der Universität Konstanz mit einer Alge und einem Virus erstmals experimentell aufgezeigt.  Die Studie wurde heute in Magazin Science Advances veröffentlicht.

In Lehrbüchern über die Evolution erklären konzeptionelle und mathematische Modelle, wie sich eine Wirt-Parasit-Beziehung auf das Genom der beiden Organismen auswirkt. Man spricht von Koevolution. Wie diese Wechselwirkung wirklich funktioniert, konnte allerdings in vivo erst für wenige Gene nachgewiesen werden. Studien am ganzen Genom beider Arten, die ausserdem den zeitlichen Verlauf der gegenseitigen Beeinflussung aufzeigen, fehlen bisher. Trotzdem werden Entstehung und Erhalt von Biodiversität oft damit erklärt.

Die Alge Chlorella variabilis und ein Chlorovirus, der sie befällt, wurden über 100 Wirtsgenerationen genetisch, aber auch in Bezug auf phänotypische Veränderungen und ihre Populationsdynamik beobachtet. Foto: Universität Konstanz

Grosse Population sorgt für grosse Vielfalt

Die neue Studie hat die Alge Chlorella variabilis und das Chlorovirus über 100 Wirt-Generationen hinweg experimentell untersucht. Danach konnten die Forschenden Daten über die Entwicklung der Populationsgrössen, Stärke des Erregers und genetische Veränderungen kombinieren. Sie halten fest, dass Anpassungen schnell und zeitlich immer gleich erfolgen. Doch die Änderungen können nicht allein mit den bisherigen Modellen für die Koevolution – zwischen Wettrüsten und fluktuierenden Selektionsdynamiken – erklärt werden. Einbezogen werden muss insbesondere auch die Veränderung der Populationsgrösse. Man habe erwartet, dass die Alge Resistenzen gegen das Virus ausbildet und danach nicht mehr viel passiere, sagt Evolutionsbiologin Philine Feulner von der Eawag, die mit Lutz Becks von der Universität Konstanz die Studie geleitet hat. Erst wenn das Virus sich verändert und wieder infektiöser wird, setzen sich auch wieder neue genetische Varianten in der Alge durch, lautete die Hypothese. Doch da kam die Überraschung: Auch in Zeiten, während derer der Selektionsdruck durch das Virus reduziert war, hat sich die genetische Vielfalt bei der Alge schnell aufgebaut. Die stark wachsende Populationsgrösse beim Wirt hat die Häufigkeit von erfolgreichen Mutationen erhöht, und das wiederum erzeugt Vielfalt.

Schnell stattfindende Evolution und ökologische Veränderungen beeinflussen sich also gegenseitig. „Diese ökoevolutionäre Dynamik ist für unser Verständnis der molekularen Evolution und wie diese zeitlich abläuft von grundlegender Bedeutung“, sagt Feulner.

Medieninformation der Universität Konstanz – https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/presseinformationen/

Originalpublikation: Cas Retel, Vienna Kowallik, Weini Huang, Benjamin Werner, Sven Künzel, Lutz Becks, Philine G. D. Feulner. The feedback between selection and demography shapes genomic diversity during coevolution. Science Advances, 2. Oktober 2019. https://doi.org/10.1126/sciadv.aax0530

Finanzierung: Die Arbeit wurde gefördert im Rahmen des Schwerpunktprogrammes Rapid Evolutionary Adaption der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und ist ein Lead Agency Projekt der DFG und des Schweizer Nationalfonds (SNF).