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«Ich sehe es als Pflicht, mich als Wissenschaftler in gesellschaftlichen Debatten einzubringen»

2. Oktober 2015 | Andres Jordi

Die Herausforderungen im Wassersektor wie Wasserknappheit oder Mikroverunreinigungen verlangten nicht nur nach exzellenter Forschung, sondern auch nach einer Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern, findet Jerald Schnoor. Der renommierte amerikanische Umweltingenieur weilt während drei Monaten als Gast an der Eawag.
Interview: Andres Jordi

Jerald Schnoor, mit was beschäftigst du dich während deines Sabbaticals an der Eawag?
Zusammen mit der Direktorin Janet Hering arbeite ich hauptsächlich am Konzept eines neuen Synthesezentrums, das Forschende aus den naturwissenschaftlich-technischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen an der Eawag zusammenbringen soll. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt und mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund sollen sich hier austauschen, ihre Daten mit Kollegen anderer Disziplinen diskutieren und daraus neue Erkenntnisse gewinnen.

Eine Art interdisziplinärer Elfenbeinturm?
Das Synthesezentrum soll natürlich auch Schnittstellen zur Praxis aufweisen. Die Idee ist, dafür mit bestehenden praxisorientierten Plattformen wie der Wasseragenda 21 oder der Fischereiberatungsstelle (Fiber) zusammenzuarbeiten. Diese speisen die Anliegen der Praxis an die Wissenschaft ein und bringen das Forschungswissen zu den Entscheidungsträgern in der Politik und Praxis. Entstehen soll so etwas wie eine transdisziplinäre Denkfabrik, die vorhandenes Wissen zusammenträgt, und in der über die anstehenden und zukünftigen Herausforderungen im Wassersektor nachgedacht werden kann.

«Jeden Tag kommen 15 000 potenziell ökotoxische Stoffe hinzu,
die in die Gewässer gelangen können.»

Welche Herausforderungen stehen denn momentan an?
Ein grosses Problem ist die Abschwemmung von Pestiziden und Nährstoffen von landwirtschaftlichen Flächen in die Gewässer. Aus meiner Heimat Iowa zum Beispiel gelangen auf diese Weise grosse Mengen an Stickstoff über den Mississippi in den Golf von Mexiko. Dies führt immer wieder zu übermässigem Wachstum teilweise toxischer Algen und zu lebensfeindlichen Zonen ohne Sauerstoff entlang der Küste. Weltweit gibt es rund 400 solcher so genannter Todeszonen. Der Klimawandel dürfte das Problem verschärfen. So sagen unsere Klimamodelle für das Iowa Cedar Rivers Basin für die Zukunft mehr Regen voraus. Ein weiteres wichtiges Thema in den industrialisierten Ländern sind Mikroverunreinigungen. So fehlen zum Beispiel in den Vereinigten Staaten bis jetzt Massnahmen, wie sie die Schweiz mit dem Ausbau der Kläranlagen beschlossen hat, um Mikroverunreinigungen im Abwasser zu eliminieren. Das amerikanische Chemikalienregister (CAS) beinhaltet über 100 Millionen Substanzen; jeden Tag kommen rund 15’000 neue hinzu: unzählige potenziell ökotoxische Stoffe, die in die Gewässer gelangen können. Ein grosses Problem stellen Nebenprodukte dar, die bei der Wasserdesinfektion entstehen.

Wo kommt die Desinfektion zum Einsatz?
Immer mehr Länder bereiten ihr Abwasser mittels Umkehrosmose auf, um es als Trinkwasser wiederzuverwenden. In den USA gewinnen einige wasserknappe Staaten, etwa Kalifornien oder Texas, ihr Trinkwasser teilweise auf diese Art. Dabei werden immer wieder neue Desinfektionsmittel eingesetzt. Einige der Nebenprodukte, die bei der Desinfektion entstehen, scheinen äusserst toxisch zu sein. Da sie die Osmose-Membranen passieren, können sie sich bei einer wiederholten Aufbereitung im Trinkwasser anreichern.

«Die gute Zusammenarbeit, die NGO und Regierungen aufgebaut
haben, ist eine der grössten Errungenschaften.»

Was lässt sich bei den Mikroverunreinigungen tun?
Als Erstes müssen wir noch bessere Analysemethoden entwickeln, um die unzähligen Chemikalien im Wasser genauer und effizienter nachweisen zu können. Dazu braucht es chemische Testverfahren mit hohem Durchsatz. Solche Verfahren, welche riesige Datenmengen rasch bewältigen, sind auch nötig, um die Wirkungen auf die Umwelt und den Menschen abzuschätzen. Hier brauchen wir aussagekräftige genetische Toxizitätstests. Erst dann kann die Wissenschaft die Regierungen wirklich beraten, wie diese mit den Mikroverunreinigungen umgehen und welche Verfahren sie bei der Überwachung einsetzen sollen.

Vor welchen Herausforderungen stehen die Entwicklungs- und Schwellenländer?
Dass viele Menschen zu wenig Wasser für die Siedlungshygiene haben, ist dort nach wie vor das grösste Defizit. Zwar hat die Uno mit ihren Millenniumsentwicklungszielen viel bewirkt. So sank die Zahl der Menschen, die in Armut leben weltweit massiv. In China hat sich die notleidende Bevölkerung seit dem Jahr 2000 zum Beispiel um 300 bis 400 Millionen Personen reduziert. Das ist einmalig in der Geschichte der Menschheit. Trotzdem wurden elementare Ziele verfehlt. Jenes für die Siedlungshygiene gehört dazu. Umso wichtiger ist es, dass sich die Uno in New York kürzlich auf ein Nachfolgeprogramm für die nächsten 15 Jahre geeinigt hat.

«Viele der Millenniumsentwicklungsziele der Uno wurden
erreicht. Eine adäquate Siedlungshygiene gehört nicht dazu.»

Wenn ich sehe, welche Fortschritte viele Länder bei der Armutsbekämpfung und beim Zugang zu sauberem Trinkwasser gemacht haben, stimmt mich das für die Siedlungshygiene zuversichtlich. Nichtregierungsorganisationen haben in den letzten 15 Jahren bereits Unglaubliches geleistet – etwa bei der Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose, Pocken oder Kinderlähmung. Überhaupt ist für mich die gute Zusammenarbeit, die NGO und Regierungen oft miteinander aufgebaut haben, eine der grössten Errungenschaften der vergangenen Jahre. Die Millenniumsentwicklungsziele sind dafür ein eindrückliches Beispiel.

Gibt es weitere derartige Errungenschaften?
Im Umweltschutz stellt für mich das 1989 in Kraft gesetzte Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht die grösste Leistung der letzten Jahrzehnte dar. Das Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoffen bewahrte die Welt nicht nur vor dem Ozonloch, sondern ebenso von einer doppelt so starken Klimaerwärmung verglichen mit der heutigen Situation. Denn die langlebigen FCKW gehören zu den potentesten Treibhausgasen und wirken über 10’000-mal stärker als CO2. Ihr Gehalt in der Stratosphäre nimmt seit einigen Jahren ab.

Welche Probleme kommen in Zukunft auf uns zu?
Der Klimawandel wird die Verfügbarkeit von Wasser verändern. Die Modellrechnungen deuten darauf hin, dass humide Gebiete in Zukunft noch mehr Regen erhalten werden. Überschwemmungen dürften sich häufen. Aride Regionen werden dagegen noch trockener und das Wasser wird dort knapper. Zudem gilt es, dereinst weltweit zwei bis drei Milliarden Menschen mehr zu ernähren.

Sorgen macht mir das Auftreten neuer Krankheitserreger. Ich rechne mit einer Zunahme antibiotikaresistenter Keime in der Umwelt. Über deren Evolution und Verbreitung weiss die Wissenschaft noch zu wenig. Der globale Austausch von Menschen und Waren macht es heutzutage möglich, dass sich Pathogene leicht auf der ganzen Welt ausbreiten können. Dasselbe gilt für invasive Arten. Welche Probleme diese uns bescheren werden, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Mit Sicherheit verändern sie die Struktur und das Artengefüge eines Lebensraums. Inwieweit sich das auf die Ökosystemfunktionen auswirkt, ist aber noch unklar. Auch hier muss die Wissenschaft noch einige Fragen beantworten.

Beschränkt sich die Rolle der Forschenden auf das Erarbeiten von neuem Wissen?
Wir können zwar keine Gesetze erlassen. Aber ich empfinde es als Pflicht, mich bei gesellschaftlich relevanten Themen als Wissenschaftler einzubringen und Entscheidungsträger – gestützt auf die bestmögliche Forschung – zu informieren. Das bedeutet mehr als nur einen Projektbericht abzugeben, es bedeutet interaktive Zusammenarbeit. Viele Kolleginnen und Kollegen sind hier zurückhaltend. Das eingangs angesprochene Synthesezentrum der Eawag könnte eine geeignete Plattform für einen solchen Austausch werden.

Flusssystem als wissenschaftliches Observatorium
In seiner aktuellen Forschung befasst sich Jerald Schnoor unter anderem mit Umweltveränderungen und Gesundheit. So untersuchen er und seine Mitarbeitenden im Iowa Cedar Rivers Basin, einem Flussgebiet grösser als die Schweiz, wie Änderungen der Landnutzung und des Klimas die Wasserqualität und -verfügbarkeit im Gebiet beeinflussen. Das Flusssystem ist mit Sensoren ausgestattet, die in Echtzeit hydrologische, geophysikalische und chemische Daten liefern. Anhand dieser Daten erstellen die Wissenschaftler mathematische Modelle des Gebiets. «Es geht darum herauszufinden, welche Art von Landwirtschaft sich unter zukünftigen Bedingungen für die Region eignet», sagt Schnoor.

PCB sind immer noch aktuell
Ein kürzlich gestartetes Projekt geht dem Schicksal polychlorierter Biphenyle (PCB) nach. Die verbotenen, krebserregenden Verbindungen treten nach wie vor zum Beispiel in gewissen Fassadenanstrichen als unbeabsichtigte Nebenprodukte auf. Zudem sind Abbauprodukte im Umlauf, die in manchen Fällen giftiger sind als die PCB selber. Schnoor und sein Team wollen deshalb den PCB-Stoffkreislauf besser verstehen. Daneben untersuchen sie, auf welchen Wegen der Mensch die Verbindungen aufnimmt und wie diese sich aus der Umwelt entfernen lassen.