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Spuren der Geschichte im Lac de Joux

28. Januar 2016 | Andres Jordi

Die Sedimente eines Sees sind Fenster in die Vergangenheit. Aus den Schichten, die sich im Lauf der Zeit abgelagert haben, lassen sich wertvolle Informationen über die jeweiligen Umweltbedingungen einer Region gewinnen. Forschende der Eawag haben untersucht, wie sich die Besiedlung und die wirtschaftliche Entwicklung des Vallée de Joux im Kanton Waadt in den Sedimenten des Lac de Joux niedergeschlagen haben. Von Andres Jordi

Das Vallée de Joux im Waadtländer Jura ist vor allem für die Produktion edler Uhren bekannt. Daneben wird etwas Landwirtschaft betrieben. Und im Winter kommen Gäste zum Langlaufen ins Gebiet. Der rund neun Quadratkilometer grosse Lac de Joux prägt das Landschaftsbild. Das Vallée de Joux ist heute hauptsächlich von Wald bedeckt. So bildet der Grand Risoux die grösste zusammenhängende Waldfläche der Schweiz (Abb. 1). Früher sah es hier allerdings anders aus. Ab dem 14. Jahrhundert besiedelten Bauern das abgelegene Hochtal vermehrt und begannen die Wald- und Moorlandschaft urbar zu machen. Um Viehzucht betreiben zu können, drainierten sie die Feuchtgebiete und holzten die Wälder grossflächig ab.

Doch das Vallée de Joux war kein einfacher Ort für Landwirtschaft. Die Kleine Eiszeit brachte Mitte des 15. Jahrhunderts zunehmend kaltes und nasses Wetter und damit verbunden wiederkehrende Missernten und Hungersnöte. Die Bevölkerung war gezwungen zu diversifizieren. Sie begann die verbliebenen Wälder wirtschaftlich zu nutzen. Rasch entwickelte sich die Holzindustrie zu einem wichtigen Erwerbszweig. Es entstanden Sägereien und Köhlereien. Die Holzkohle versorgte bald auch die aufstrebende Metallindustrie mit Energie. Neben dem Abbau von Eisen fassten Hammer- und Schmiedewerke Fuss. Im 17. Jahrhundert kamen die Glasproduktion und die Edelsteinindustrie hinzu. Hundert Jahre später folgte schliesslich das Uhrenhandwerk, das im 19. Jahrhundert zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Region aufstieg. Mit der Industrialisierung verlor die Landwirtschaft an Bedeutung. Zuvor kultivierte Flächen wurden zu Brachen oder Grasland.

Das Sediment-Archiv reicht 1200 Jahre zurück

Die Besiedlungsgeschichte des Vallée de Joux ist durch historische Quellen gut dokumentiert. Sie hat sich aber auch in den Sedimenten des Lac de Joux niedergeschlagen. «Die Sedimente eines Sees sind wertvolle Archive», sagt Nathalie Dubois von der Eawag. Sie leitet an der Forschungsabteilung Oberflächengewässer die Gruppe Sedimentologie. «Abhängig von den lokal vorherrschenden Bedingungen und Einflüssen lagern sich im Lauf der Zeit andere Stoffe am Seegrund ab», so die Forscherin. Wer wie Dubois die Sedimentschichten zu lesen versteht, kann wertvolle Informationen über die Vergangenheit einer Region gewinnen. Zusammen mit ihrer Postdoktorandin Marlène Lavrieux und weiteren Forscherkollegen hat sie untersucht, wie sich die Besiedlung und die wirtschaftliche Entwicklung des Vallée de Joux in den Sedimenten des Lac de Joux wiederspiegeln.

Für die Studie trieben die Wissenschaftler Kunststoffröhren in den Seegrund und zogen einen knappen Meter lange Sedimentkerne aus dem Boden (Abb. 2). Zwei Kerne schnitten sie der Länge nach auf und prüften sie im Labor auf Herz und Nieren. Sie erfassten die Magnetisierbarkeit der Schichten, massen deren Dichte, bestrahlten sie mit Röntgenlicht, führten geochemische Analysen durch und bestimmten anhand von Kohlenstoff-, Blei- und Cäsiumisotopen das Alter. Daneben beurteilten siedie Zusammensetzung der Sedimente mithilfe hochaufgelöster Fotos auch optisch. «Die Kerne reichen rund 1200 Jahre in die Vergangenheit», sagt Dubois.

Abholzung führt zu Erosion

Die Sedimentkerne offenbaren die wechselvolle Geschichte des Vallée de Joux (Abb. 3). «Bis zum 13. Jahrhundert waren Umwelteinflüsse dominant», erläutert Dubois die Befunde, «die ersten vereinzelten Siedler hinterliessen noch keine Spuren im Sediment». Wechselnde Schichten dunkelbraunen Schlamms (von Sedimentologen Gyttja genannt) und heller kalkhaltiger Ablagerungen deuten auf klimatische Schwankungen hin. In den darüberliegenden Ablagerungen wird dann zum ersten Mal menschliches Wirken sichtbar. Die pflanzlichen Bestandteile weisen hier eine andere Zusammensetzung der Kohlenstoffketten auf als jene der älteren Schichten. Laut den Forschenden rührt dies von einem deutlich gesteigerten Eintrag organischen Materials in den See her. Diesen konnten sie dem Zeitraum zwischen 1300 und 1450 zuordnen. Zu der Zeit wanderten zahlreiche Siedler ins Tal und begannen den Wald zu roden. Vom vegetationslosen Untergrund wurden grosse Mengen organischen Materials in den Lac de Joux ausgewaschen. Das zunehmend niederschlagsreiche Klima – Vorbote der Kleinen Eiszeit – trug das seine zur Bodenerosion bei.

Die Einträge erreichten um 1500 ihr Maximum. Mit der ausgewaschenen Erde gelangten auch Nährstoffe in den See und begünstigten das Algenwachstum. Entsprechende Rückstände in den Sedimenten zeugen davon. Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung und der Aufgabe von Kulturland begann die Erosion ab zirka 1600 zurückzugehen. Die Zusammensetzung des Sediments veränderte sich. Der zu dieser Zeit florierende Eisenabbau hinterliess wenig Spuren. Dagegen hat sich der Bruch eines Dammes, der 1777 gebaut wurde und wenig später barst, in den Sedimenten niedergeschlagen. Diese wurden teilweise fortgespült oder durcheinandergewirbelt. Durch den Dammbruch sank überdies der Wasserspiegel. Dies und die steigende Verdunstung aufgrund des wärmer werdenden Klimas führten im 19. Jahrhundert zu einer stärkeren Ausfällung von Kalk. «In den Sedimentkernen herrschen in diesem Zeitabschnitt dementsprechend helle kalkhaltige Schichten vor», sagt Dubois.

Schwermetalle aus der Uhrenindustrie?

Der 1942 zur Stromproduktion erneut konstruierte Damm hielt diesmal. Die Sedimentkerne weisen schlammige Ablagerungen auf, die auf Rückstände von Bauabfällen hindeuten, die im See entsorgt wurden. Der Damm veränderte auch die Strömungsdynamik des Lac de Joux. Es entstanden Bereiche mit stehendem Wasser. Zusammen mit dem steigenden Eintrag von Phosphor aus Waschmitteln förderte dies die Eutrophierung des Sees. Die Zusammensetzung der Kohlenstoffketten und -isotope in den entsprechenden Sedimentschichten weisen auf ein verstärktes Wachstum von Wasserpflanzen und entsprechende Überdüngungstendenzen hin.

Um 1950 treten in den Sedimentschichten plötzlich Blei, Zink, Eisen und Kupfer auf. «Unseren Analysen zufolge sind die Schwermetalle anthropogenen Ursprungs», sagt Dubois. Als Quelle kommt laut den Forschenden die lokale Uhrenindustrie in Frage. Das Blei stammt möglicherweise auch aus der Metallverarbeitung oder aus bleihaltigem Benzin und wurde über die Atmosphäre eingetragen.

Laut den Eawag-Wissenschaftlern stellen Sedimentanalysen einen viel versprechenden Ansatz dar, um zu rekonstruieren, wie sich vergangenes menschliches Tun auf eine Region auswirkte. «Daraus lassen sich zudem Rückschlüsse ziehen, wie heutige Aktivitäten die Umwelt oder das Klima beeinflussen oder wie widerstandsfähig Ökosysteme gegenüber Störungen sind», sagt Dubois. Als nächstes wird die Sedimentologin zusammen mit Ökologen untersuchen, welche Spuren die Geschichte bei den aquatischen Organismen des Lac de Joux hinterlassen hat.