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Von der Senke zur Quelle: Turbulenzen im Wasser lösen Hormone aus dem Sediment

27. September 2019 | Felicitas Erzinger

Flusssedimente wirken normalerweise als Senke für im Wasser gelöste Hormone. Werden sie jedoch aufgewirbelt, zum Beispiel bei einem Hochwasserereignis, können die Stoffe zurück in die Wassersäule gelangen – mit potenziell negativen Folgen für das Ökosystem.

Natürliche Östrogene von Menschen, aber auch synthetische Substanzen, etwa aus der Antibabypille, Pestiziden oder Industriechemikalien, gelangen hauptsächlich über das Abwasser in die Oberflächengewässer. Dort können diese sogenannten hormonaktiven Substanzen den normalen Hormonhaushalt von Wasserlebewesen wie Fischen stören und deren Entwicklung, Gesundheit und Fortpflanzung beeinträchtigen. Die Fische nehmen die Stoffe dabei beim Atmen über ihre Kiemen auf. Mit der Zeit werden die Hormone in den Gewässern abgebaut, können sich jedoch auch an Partikel binden und im Sediment absetzten und anreichern. Wie Turbulenzen diese Stoffe wieder frei verfügbar machen könnten, zeigt eine neue Studie von Anne-Katrin Müller der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen mit Beteiligung des Oekotoxzentrums in Dübendorf.

Die Forschenden untersuchten den Fluss Luppe in Sachsen-Anhalt, welcher als Hotspot für die Verunreinigung mit hormonaktiven Substanzen, insbesondere östrogenaktiven Substanzen, gilt. Für ihren Versuch brachten sie Sedimentproben ins Labor und simulierten in einem Becherglas Turbulenzen, wie sie bei einem Hochwasser entstehen können. Mit einem Passivsammler bestimmten die Forschenden anschliessend die Konzentration an frei verfügbaren Hormonen im Wasser. Die Resultate zeigen, dass die an Sedimentpartikel gebundenen Hormone durch den Kontakt mit dem Wasser teilweise wieder gelöst werden und in ökotoxikologisch relevanten Konzentrationen vorliegen. «Das bedeutet, dass negative Effekte auf Wasserorganismen möglich wären», erklärt Etienne Vermeirssen, Gruppenleiter der aquatischen Ökotoxikologie am Oekotoxzentrum und Co-Autor der Studie.

Vom Labor ins Freiland

Zeigen können dies die Forschenden in ihrer aktuellen Arbeit jedoch noch nicht. Um die Vermutung zu testen, braucht es zuerst den Schritt vom Becherglas in die Umwelt. Nächste Versuche in einem künstlichen Beckensystem, in welches Sediment und Fische eingetragen werden, seien bereits erfolgt und werden zurzeit ausgewertet, so Vermeirssen. «Spannend wäre anschliessend auch die Übertragung ins reale Gewässer mit Messungen der Bioverfügbarkeit von hormonaktiven Substanzen vor, während und nach Hochwasserereignissen». Durchgeführt werden könnten diese Versuche wiederum in Deutschland, denn die heutige Hormonbelastung der Schweizer Seen und Flüsse ist sehr tief. Grund dafür ist, dass die Abwasserreinigungsanlagen die östrogenaktiven Stoffe zum grössten Teil entfernen. «Damit ist auch die Belastung der Flusssedimente in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland weniger relevant», sagt Vermeirssen. In der Luppe habe man es mit etwa 50 Mal höheren Konzentrationen zu tun, wie der Forscher zusammen mit seinem Masterstudenten Ali Kizgin in einer aktuellen Arbeit am Oekotoxzentrum zeigen konnte.

Originalpublikation

Müller, A.-K.; Leser, K.; Kämpfer, D.; Riegraf, C.; Crawford, S. E.; Smith, K.; Vermeirssen, E. L. M.; Buchinger, S.; Hollert, H. (2019) Bioavailability of estrogenic compounds from sediment in the context of flood events evaluated by passive sampling, Water Research, 161, 540-548, doi:10.1016/j.watres.2019.06.020, Institutional Repository