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Artenbildung wird prognostizierbar

10. Juni 2012 | Andri Bryner

Wenn Tiere oder Pflanzen neue Lebensräume kolonisieren, können sich aus einer einzelnen Art im Laufe der Evolution mehrere neue Arten entwickeln. Ob und in welchem Masse dies geschieht, lässt sich weder mit den Umweltbedingungen noch mit artspezifischen Merkmalen allein beantworten. Eine neue Studie der Eawag weist nun bei afrikanischen Buntbarschen nach, welche Kombination von Faktoren und Artmerkmalen zu einer hohen Artneubildungsrate führt und damit für die Entstehung von Artenvielfalt ausschlaggebend ist.

 Warum entwickeln sich Populationen mancher Artengruppen in wenigen tausend Jahren immer weiter auseinander bis sogar von neuen Arten gesprochen werden muss und andere bleiben über Jahrmillionen wie sie sind? Das ist eine der grossen Fragen zum Werden und Vergehen von Biodiversität. Aus verschiedenen Studien weiss man, dass sowohl Umweltbedingungen, zum Beispiel die Vielfalt von Lebensräumen oder das Klima, als auch artspezifische Merkmale, wie Farbigkeit oder bestimmte Verhaltensmuster, die Artneubildung beeinflussen. Doch darüber, wie diese externen und internen Faktoren zusammenspielen, ist noch kaum etwas bekannt.

Jetzt hat ein Team von Forschenden unter Leitung der Eawag und der Universität Bern diese Zusammenhänge näher unter die Lupe genommen. In der jüngsten Ausgabe von Nature weisen sie für Buntbarsche aus 46 afrikanischen Seen nach, dass sich aus einer Kombination von Umwelteinflüssen sowie dem Paarungsverhalten die Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, mit der sich aus einem Urahn neue Arten entwickeln oder nicht. Die afrikanischen Buntbarsche (Cichliden) eignen sich besonders für diese Untersuchung, weil sie in grossen afrikanischen Seen im Laufe der Zeit aus ursprünglich wenigen Arten einen extremen Reichtum entwickelt haben. Allein für den Viktoria- und den Malawisee sind über 800 Buntbarsch-Arten bekannt.

Die neue Studie zeigt nun, dass dieses Auseinanderwachsen vor allem dann intensiv ist, wenn der See tief ist und die Sonneneinstrahlung hoch. Kaum einen Einfluss hat dagegen die Grösse der Seen – das überrascht, denn von terrestrischen Arten ist bekannt, dass ihre Diversifizierung unter anderem von der Grösse der Lebensräume abhängig ist. Von den artspezifischen Merkmalen ist vor allem entscheidend, wie selektiv die Fische ihre Partner wählen. Als Mass dafür hat den Forschenden die unterschiedliche Farbigkeit zwischen Männchen und Weibchen bei den Buntbarschen gedient.

Treffen die erwähnten ökologischen Faktoren und eine selektive Partnerwahl zusammen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich die Arten auseinander entwickeln. Der bisher sowohl in der Forschung als auch im Naturschutz vernachlässigte Prozess der Artneubildung wird damit ein Stück weit vorhersagbar. Gleichzeitig erlauben diese Resultate auch Vorhersagen zum negativen Einfluss von menschlichen Aktivitäten auf die Biodiversität. Zum Beispiel ist zu erwarten, dass Artbildungsraten abnehmen und bereits existierende Arten kollabieren, wenn die bewohnbare Tiefe von Seen durch Verschmutzung oder Wasserspiegelabsenkungen verändert wird.