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Ein Nest für die Toilette der Zukunft

28. April 2016 | Mirella Wepf

Im modularen Experimentalgebäude Nest erforschen Eawag und Empa zusammen mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft zukünftige Wohn- und Arbeitsformen, neue Konstruktionsmethoden und energieeffiziente Technologien. Im Projekt «Water Hub» untersuchen Forschende etwa, wie man mit Trenntoiletten Wasser sparen und Nährstoffe aus dem Urin zurückgewinnen kann.

Die Toiletten im modularen Experimentalgebäude Nest sind speziell. Sie enthalten Sensoren, die unterscheiden können, ob Wasser oder Urin in die Schüssel fliesst. Sobald jemand uriniert, öffnet sich eine Leitung, durch die der Urin separat abgeleitet wird. Betätigt man die Spülung, schliesst sich diese Leitung und die Fäkalien werden zusammen mit dem Toilettenpapier in ein zweites Rohr gespült. Das kleine und das grosse Geschäft landen in einem rund 100 Quadratmeter grossen Kellerraum des Gebäudes und werden dort im von der Eawag geleiteten Projekt «Water Hub» verarbeitet und erforscht.

Die deutsche Firma Duravit hat die Toiletten in Zusammenarbeit mit der Eawag und weiteren Firmen entwickelt. Im «Water Hub» erfüllen sie eine Schlüsselfunktion. «Ohne die Urinseparierung wäre ein grosser Teil unserer Forschungsvorhaben gar nicht möglich», erklärt Bastian Etter von der Abteilung Verfahrenstechnik der Eawag. Er koordiniert das Projekt. In der Startphase beinhaltet der «Water Hub» vor allem drei Projekte: die Behandlung und Verwertung von Urin (im Fachjargon: Gelbwasser), die Behandlung und Wiederverwertung von Dusch- und Abwaschwasser (Grauwasser) sowie die Behandlung von Fäkalschlamm aus Papier, Kot und Spülwasser (Braunwasser). Nach und nach werden weitere Projekte hinzukommen, darunter Forschung im Bereich Regenwasserverwertung, Innovationen gegen die Geruchsentwicklung von Abwasser oder eine Plattform für Kooperationen mit der Industrie.

Den Nährstoffkreislauf schliessen

«Eigentlich ist unser bisheriger Umgang mit Abwasser absurd», sagt Etter. «Wir mischen Kot, Urin, Grau- und Regenwasser zusammen, spülen mit wertvollem Trinkwasser – und in der Kläranlage müssen wir das Ganze mit einem enormen Energieaufwand wieder trennen.» Er rechnet vor: «50 bis 90 Prozent der Nährstoffe, die aus unserem Abwasser entfernt werden müssen, stammen aus dem Urin.» Dabei handle es sich vorwiegend um Stickstoff und Phosphor, die sich in hoher Dosis negativ auf die Gewässer auswirken. Auch zwei Drittel der Medikamentenrückstände im Abwasser stammen aus dem Urin; dieser macht jedoch nur ein Prozent der Abwassermenge aus. Fazit: Würde man den Urin von Anfang an abtrennen, könnten Kläranlagen mit viel kleinerem Aufwand betrieben werden.

Theoretisch liessen sich Kot und Urin auch besser nutzen als heute – sei es als Dünger oder als Brennstoff. Dabei stellen sich jedoch einige Probleme, die bisher nur teilweise gelöst werden konnten. Zu den Knackpunkten gehört die effiziente und sichere Entfernung von Krankheitserregern. Zudem fehlt es an marktreifen Verfahren, um Kot und Urin zu trennen und die Nährstoffe daraus herauszulösen. «Beim Stickstoff, den die Landwirtschaft als Dünger braucht, machen wir heute zum Beispiel einen grossen Umweg», sagt Etter. «Wir gewinnen ihn mit riesigen industriellen Anlagen aus der Luft. Parallel dazu betreiben wir einen gigantischen Aufwand, um ihn aus dem Abwasser zu entfernen. Es wäre wünschenswert, diesen Kreislauf besser schliessen zu können.»

Sechs Abwasserleitungen

Diese Beispiele erklären, weshalb sich im Nest anstelle einer einzigen Abwasserleitung sechs separate Rohre befinden: je eines für die Fäkalien, den Urin, das Regenwasser, das leichtere – also weniger verschmutzte – Grauwasser aus der Dusche, das schwerere, fetthaltige aus der Küche und sicherheitshalber eine Leitung, die ganz normal in die Kanalisation führt. Die getrennten Abwasserströme machen es möglich, einzelne Fragestellungen gezielt unter die Lupe zu nehmen und Lösungen zur Reduktion des Wasserverbrauchs, zur Mehrfachverwendung des Brauchwassers und zur Nutzung der Stoffe im Abwasser zu entwickeln. Etter hält es durchaus für realistisch, dass grössere Gebäude in der Schweiz künftig über eigene Abwasseraufbereitungsanlagen verfügen und nicht mehr auf die Kanalisation angewiesen sind. «Noch ist das Zukunftsmusik, aber der Trend sollte und wird in diese Richtung gehen», meint er. Erste Pilotprojekte seien bereits angedacht, aber noch nicht spruchreif.

Next Evolution in Sustainable Building Technologies (Nest)

In Dübendorf entsteht auf dem Areal der beiden Forschungsinstitute Empa und Eawag unter dem Namen «Next Evolution in Sustainable Building Technologies» (Nest) ein innovatives Gebäude. Mit dem Haus wollen die beiden Institute zusammen mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft zukünftige Wohn- und Arbeitsformen, neue Konstruktionsmethoden und energieeffiziente Technologien erforschen. Das vierstöckige Gebäude besteht aus einem festen Kern und austauschbaren Modulen.

In diesen Einheiten erforschen und erproben internationale Forscherteams ab dem Frühling 2016 Wohnungen, Büros und Konferenzräume unter alltagsnahen Bedingungen. Fehler und Irrwege sind dabei erlaubt und sogar erwünscht. Das Nest wird als Gästehaus ständig bewohnt, die Büroeinheiten werden im Alltag benutzt. Nach dem Ende eines Forschungsprojekts wird die jeweilige Wohneinheit aus dem Haus entfernt und durch eine neue ersetzt. Als wissenschaftliche Partnerinstitutionen beteiligen sich neben der Empa und der Eawag die ETH Zürich, die ETH Lausanne und die Hochschule Luzern am Nest.

Im Projekt «Water Hub» werden unter der Leitung der Eawag Konzepte getestet und weiterentwickelt, die eine Mehrfachnutzung von Wasser und Abwasser ermöglichen. Das Forschungsgebäude soll auch dazu beitragen, vielversprechende Lösungen zur Reduktion des Wasserverbrauchs und zur Nutzung der Stoffe im Abwasser weiterzuentwickeln. Am 23. Mai 2016 wird das Nest im Beisein von Bundesrat Johann Schneider-Ammann feierlich eröffnet.

Abb. 2: Die im Projekt «Vuna» entwickelte Technik zur Separierung und Aufbereitung von Urin wird auch bei «Water Hub» eingesetzt.
Eine Nitrifikations- und Verdampfungsanlage wandelt den getrennt gesammelten Urin mitsamt seinen Nährstoffen in einen Dünger um.
(Bild: Eawag)

Die Eawag zielt jedoch nicht nur darauf ab, das Abwassermanagement hierzulande zu optimieren, sie richtet ihren Blick auch auf Länder mit anderen Voraussetzungen, insbesondere auf Entwicklungsländer und auf Gebiete, die an Wassermangel leiden. Weltweit haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu hygienisch sicheren Toiletten. Das belastet die Umwelt und gefährdet die Gesundheit der Bevölkerung.

Grosse Erfahrung der Eawag

Bei den Forschungsarbeiten im Nest kann die Eawag auf die Erfahrung aus verschiedenen Vorläuferprojekten zurückgreifen (Abb. 2). Dazu gehört die Entwicklung der Blue-Diversion-Toilette, die 2014 von der Internationalen Wasserorganisation IWA mit dem Innovationspreis für die beste angewandte Forschung ausgezeichnet wurde.

Im Eawag-Hauptgebäude, das 200 Meter von Nest entfernt liegt, wird der Urin bereits seit elf Jahren separat gesammelt. Der Recycling-Dünger, den die Eawag mit einem neu entwickelten Verfahren daraus produziert, hat kürzlich die offizielle Zulassung vom Bundesamt für Landwirtschaft als Dünger für Blumen, Zierpflanzen oder Rasen erhalten. Das Forschungsgebäude Nest wird der Eawag und ihren Partnern weiteren Raum für solche Innovationen bieten.