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Genfersee: Antibiotikaresistenzen auf dem Vormarsch

22. März 2012 | Andri Bryner

Mit dem Siedlungsabwasser, speziell mit dem Abwasser aus Spitälern, gelangen grosse Mengen an Bakterien in die Umwelt, die gegen Antibiotika resistent sind. Kläranlagen reduzieren zwar die Gesamtzahl der Keime. Gerade die gefährlichsten unter ihnen, solche mit Mehrfach-Resistenzen, scheinen aber die Abwasserbehandlung unbeschadet zu überstehen oder von ihr sogar gefördert zu werden. Das haben Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Eawag im Genfersee vor Lausanne nachgewiesen.

 Das gereinigte Abwasser von ganz Lausanne, rund 90‘000 m3 pro Tag, wird 700m vom Ufer entfernt in 30m Tiefe in der Bucht von Vidy in den Genfersee geleitet. Lausanne hat keine pharmazeutische Industrie und keine Nutztierhaltungen im grossen Stil. Doch mit dem Universitätsspital Waadt (CHUV) ist – neben den 214‘000 Einwohnern der Region und mehreren kleineren Gesundheitseinrichtungen – ein grosses Krankenhaus an der Kläranlage Lausanne angeschlossen. Da aus Studien im Spitalbereich, aber auch aus der Tiermedizin bekannt ist, dass Antibiotikaresistenzen zunehmen, hat eine Gruppe von Forschenden nun untersucht, ob solche Resistenzen via Kläranlage auch in die Umwelt gelangen, in diesem Fall also in den Genfersee. Durchgeführt wurden die Resistenztests mit klassischen Wachstumsversuchen und parallel dazu auch mit aufwändigen genetischen Analysen.

Die in der Schweiz erstmals in diesem Umfang erhobenen Daten aus dem Siedlungsabwasser, dem Seewasser und dem Seesediment zeigen einerseits erwartete Muster, zum Beispiel eine besonders hohe Zahl von hochgradig multiresistenten Keimen im Abwasser des CHUV. Andererseits kam auch Erstaunliches zu Tage: So entfernt die Kläranlage zwar insgesamt über 75% aller Bakterien. Doch ist im gereinigten Abwasser der Anteil an besonders resistenten Stämmen erhöht. Mikrobiologe Helmut Bürgmann vermutet, dass die Kläranlage sozusagen ein Nährboden ist für den Austausch von Gensequenzen für Antibiotikaresistenz. Denn hier treffen Bakterien, die sonst im menschlichen Körper leben, auf solche, die schon an die freie Umwelt angepasst sind, und mobile Gensequenzen können aufgrund der hohen Zelldichten leicht ausgetauscht werden. «Dass Bakterien Resistenzen einbauen ist nichts Besonderes und auch nicht zum vornherein gefährlich», sagt Bürgmann, «nicht bekannt war bisher, dass die Häufigkeit von Multiresistenzen im See, vor allem auch im Sediment, in der Nähe der Einleitung des gereinigten Abwassers erhöht ist.» Damit werde das Risiko erhöht, so der Forscher weiter, dass Resistenzgene über kurz oder lang auch von Krankheitserregern eingebaut werden. Das kann bereits im See erfolgen oder im menschlichen Körper, wenn mobile Gensequenzen für Antibiotikaresistenz ins Trinkwasser gelangen.

Für Nadine Czekalski, welche im Rahmen ihrer Dissertation den Hauptteil der Untersuchungen gemacht hat, sind die Befunde «kein Grund zur Panik». 3 km neben der Einleitung des Kläranlagenablaufs in den See liegt eine grössere Trinkwasserfassung. In Sedimentproben aus der Nähe dieser Fassung haben die Forscher zwar Multiresistenzen nachweisen können, jedoch nicht im dortigen Seewasser. Ausserdem wird das Seewasser aufbereitet, bevor es ins Leitungsnetz von Lausanne eingespeist wird. Czekalski und Bürgmann sind sich jedoch einig, dass Vorsorge angebracht ist. Immerhin werden rund 15% der Schweizer Abwässer nach ihrer Reinigung direkt in Seen eingeleitet. Die Bucht von Vidy ist ein Modell für Situationen, wie sie andernorts wohl auch auftreten. Die vom Bund für ausgewählte Kläranlagen vorgesehene zusätzliche Reinigungsstufe gegen Mikroverunreinigungen sei daher ein Schritt in die richtige Richtung, sagen die Forschenden, da sie nicht nur Mikroverunreinigungen, sondern auch resistente Keime weitgehend unschädlich mache. Weil die besonders hartnäckigen Resistenzen aus Spitälern stammen, empfehlen die Wissenschafter in ihrer Studie aber auch die separate Behandlung von Spitalabwasser.