Notizie

Grosser Genpool erleichtert Invasion

2 marzo 2021 | Sibylle Hunziker, Andri Bryner

Stichlinge besetzen im Bodensee immer neue Lebensräume, in den letzten Jahren sogar das offene Wasser und die Tiefe des Sees. Eine Übersichtsstudie des Wasserforschungsinstituts Eawag im Rahmen des Projektes «Seewandel» erklärt die einzigartig vielfältigen ökologischen Anpassungen mit dem Zusammentreffen dreier Stichlings-Linien – darunter einer aus der Ostseeregion, deren Erbgut in den anderen Schweizer Seen bisher selten vorkommt.

Historisch belegt ist in der Schweiz nördlich der Alpen vor 1900 nur ein Stichlingsbestand bei Basel. Im frühen 20. Jahrhundert befürchtete der Biologe Paul Steinmann sogar, die Art könnte ganz verschwinden, da die farbenfrohen Fischchen seit dem ersten Aquarienboom in Europa in Massen gefangen und als Haustiere gehandelt wurden. Heute kommen Stichlinge in vielen Schweizer Bächen und in den meisten grossen Seen vor.

Einmalige Vielfalt

Doch während es im Genfersee nur während der Eutrophierungsphase vor dem Bau der Kläranlagen zu Massenvermehrungen kam und die Bestände heute – ähnlich wie in den Jurarandseen – relativ unauffällig im Uferbereich und einigen Zuflüssen leben, sind die Stichlinge im Bodensee in den letzten Jahren invasiv geworden. Seit 2013 verfangen sich die Winzlinge mit ihren Rückenstacheln massenhaft in den Netzen der Berufsfischer. Und sie haben fast alle Lebensräume besetzt: Neben Populationen, die ausschliesslich in Bächen oder in den Uferzonen des Sees leben, gibt es auch solche im offenen Wasser, wo sie zuletzt bis in 47 Meter Tiefe gefunden wurden. Und einige Bestände wandern vom See in die Bäche, wo sie gleichzeitig mit den Bachstichlingen laichen, trotzdem aber genetisch differenziert bleiben.

«Weltweit kennt die Stichlingsforschung in vielen Regionen Ökotypen für Bäche und Seen», sagt Cameron Hudson, Evolutions- und Fischbiologe am Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag. Dass sich die kleinen Fische in einem See voll grosser Prädatoren ins offene Wasser vorwagen, hörte man früher hingegen erst vereinzelt von invasiven Stichlingen in den Great Lakes in Nordamerika. Und bisher nur bei Bodensee-Stichlingen wurde eine Laichwanderung vom See in seine Zuflüsse beobachtet, auch wenn es in Europa, Nordamerika und Asien Arten gibt, die zwischen Meer und Süsswasser wandern.