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Energiewende: Gewässer im Konflikt zwischen Schutz und Nutzung

27 febbraio 2023 | Andri Bryner, Claudia Carle

Die drohende Energiekrise hat den Druck erhöht, die Energiewende in der Schweiz zu forcieren. Darüber werden die Räte auch in der nun startenden Frühjahrssession debattieren. Die Nutzung der Gewässer spielt dabei eine wichtige Rolle. Zwei Forschende der Eawag erläutern, welche Risiken für die Gewässersysteme aus der Nutzung noch vorhandener Potentiale entstehen und wie die Konflikte zu beurteilen sind.

Herr Schmid, Sie sind Gruppenleiter in der Abteilung Oberflächengewässer der Eawag und beschäftigen sich seit Jahren mit den Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf die Gewässer. Der Druck, aus der Schweizer Wasserkraft noch mehr Energie zu gewinnen, ist zurzeit sehr hoch. Was hat das für Folgen für unsere Gewässer?

Martin Schmid: Die Wasserkraft hat in vielen Schweizer Fliessgewässern bereits zu grossen Veränderungen im Vergleich zum natürlichen Zustand geführt und dadurch die Lebensgrundlage von Fischen und anderen Gewässerlebewesen stark beeinträchtigt. In Restwasserstrecken fehlt ein Grossteil des natürlichen Abflusses und unterhalb der Rückleitungen aus Wasserkraftwerken führen unnatürliche Abflussschwankungen dazu, dass Organismen stranden oder abgeschwemmt werden. Stauwehre behindern die Vernetzung entlang der Gewässer. Durch den weiteren Ausbau der Wasserkraft werden die Gewässer noch stärker von solchen Auswirkungen betroffen sein.

Die Wasserkraft ist zudem nicht der einzige Faktor, der die Gewässer belastet. Verbauungen für den Hochwasserschutz, chemische Belastungen und in zunehmendem Masse auch der Klimawandel sind weitere Stressoren. Zahlreiche Arten sind aufgrund dieser Belastungen in den Schweizer Gewässern bereits ausgestorben. Von den noch verbleibenden Fischarten und den in Gewässern lebenden Insekten gelten mehr als die Hälfte als gefährdet oder potenziell gefährdet. In Anbetracht dieser Zahlen muss man sich sehr gut überlegen, ob man den Lebewesen in den Gewässern noch weitere Belastungen zumuten kann.

Martin Schmid: «Man muss sich sehr gut überlegen,
ob man den Lebewesen in den Gewässern noch
weitere Belastungen zumuten kann.»

Es gibt aber etwa bei den Restwassermengen Bestrebungen, die Umsetzung der minimalen Vorgaben aus dem Gewässerschutzgesetz zu lockern, um keine Kilowattstunde zu «verlieren». Besteht hier aus Sicht des Gewässerschutzes tatsächlich Spielraum?

Genügend Restwasser ist notwendig, damit Fische und andere Lebewesen in den Gewässern überleben und sich vermehren können. Dazu kommen andere Funktionen, welche Gewässer mit zu knapp bemessenen Restwassermengen nicht mehr erfüllen können, etwa die Speisung von Grundwasservorkommen oder ihr Nutzen als Erholungsraum für die Bevölkerung. Die Ökologie in Restwasserstrecken ist bereits heute stark beeinträchtigt und gerät durch den Klimawandel noch zusätzlich unter Druck. Aus Sicht des Gewässerschutzes ist es deshalb von grosser Bedeutung, dass zumindest die gesetzlich vorgeschriebenen Restwassermengen eingehalten werden. Aus Sicht der Wissenschaft wären zudem dynamische Restwassermengen wünschenswert, deren Variabilität der natürlichen Dynamik eines Gewässers entspricht.   

Eine weitere Forderung ist, bei bestehenden Stauseen die Mauern zu erhöhen und damit mehr Wasser, respektive mehr Strom vom Sommer in den Winter verlagern zu können. Ist das aus Sicht der Gewässerforschung eine gute Lösung?

Bei den meisten Schweizer Fliessgewässern wird der Klimawandel dazu führen, dass der Abfluss im Winter künftig deutlich höher und im Sommer deutlich niedriger sein wird. Durch einen Ausbau der saisonalen Speicher wird dieser Effekt noch verstärkt. Es ist aber noch nicht genügend untersucht, wie sich das auf die Ökosysteme der betroffenen Gewässer ober- und unterhalb der Staumauern auswirken wird.

Martin Schmid: «Bei den grösseren Seen besteht
noch ein enormes Potenzial für die Nutzung von Wärme,
ohne dass negative Auswirkungen auf die Seeökologie zu erwarten sind.»

Eine bisher wenig genutzte Möglichkeit der Energiegewinnung besteht darin, den Seen im Winter Wärme zu entziehen und damit fossile Energieträger zu ersetzen. Gibt es Grenzen dieser Nutzung, zum Beispiel, weil sie sich negativ auf den See als Lebensraum auswirkt?

Die Wärme von Seen wird in der Schweiz zunehmend zum Heizen in Wärmeverbünden genutzt. Bei den grösseren Schweizer Seen besteht dafür noch ein enormes Potenzial, welches genutzt werden kann, ohne dass negative Auswirkungen auf die Seeökologie zu erwarten sind. Ein weiterer Ausbau dieser regionalen und erneuerbaren Energiequelle ist deshalb sicher sinnvoll. Natürlich müssen dabei jeweils die möglichen Folgen für die Gewässer im Rahmen des Konzessionsverfahrens beurteilt werden. Dabei sind einerseits die lokalen Auswirkungen durch den Bau der benötigten Leitungen zu betrachten und anderseits mögliche Veränderungen der Temperatur und des Mischungsverhaltens der Seen, die sich durch die Wärmeentnahme ergeben können. 

Könnte man nicht auch die Flüsse oder das Grundwasser noch viel mehr als Wärmelieferanten nutzen?

Ja, die grösseren Flüsse im Mittelland haben ebenfalls ein beträchtliches Potenzial für die Wärmenutzung. Hingegen sind sie je länger je weniger für Kühlnutzungen geeignet, da aufgrund des Klimawandels die Wassertemperaturen vielerorts immer häufiger über den Toleranzgrenzen mancher Arten liegen. Alpine Bäche sind wegen ihrer geringen Abflüsse und tiefen Temperaturen im Winter hingegen weniger für Heizzwecke geeignet.

Das Grundwasser wird heute bereits vielerorts als Wärmequelle genutzt. Dabei ist sicher darauf zu achten, dass sich langfristig keine zu grossen Temperaturveränderungen ergeben, vor allem, wenn das Grundwasser auch für die Trinkwasserversorgung genutzt wird. Grundwasser kann auch als saisonaler Wärmespeicher interessant sein, welcher im Sommer zum Kühlen und im Winter zum Heizen genutzt wird.