Abteilung Verfahrenstechnik
Modellstudie Schweiz
Übersicht Belastungslage
Die Belastung der schweizerischen Gewässer mit Mikroverunreinigungen ist weitgehend unbekannt. Messungen einzelner Kantone und einiger Forschungsprojekte zeigen ein sehr unterschiedliches Bild. So variieren beispielsweise die gemessenen Konzentrationen des Anti-Epileptikums Carbamazepin in verschiedenene Gewässern zwischen <10 und >400 ng/L (siehe Abbildung 1). Eine flächendeckende Messkampagne durchzuführen wäre einerseits enorm aufwändig und teuer, andererseits nur bedingt aussagekräftig (Jahreszeit, Auswahl der Gewässer, gemessene Substanzen).
Gemessene Carbamazepin-Konzentrationen in Schweizerischen Fliessgewässern. Die grossen Unterschiede sind hauptsächlich auf den unterschiedlichen Abwasseranteil zurückzuführen.
Stoffflussmodell
Um ein möglichst ausgewogenes Bild über die Belastung zu gewinnen, wurde an der Abteilung Verfahrenstechnik ein GIS-basiertes Stoffflussmodell entwickelt, mit dem anhand von Verkaufszahlen, Substanzcharakteristiken, Kläranlagen- und Gewässerdaten die Frachten in den einzelnen Fliessgewässern unterhalb von Kläranlagen abgeschätzt werden können. Unter Berücksichtigung der Abflüsse konnten daraus auch die Konzentrationen berechnet werden. Diese berechneten Konzentrationen wurden mit Messungen verglichen und zeigten für viele Substanzen eine gute Übereinstimmung. Es zeigte sich, dass die Konzentrationen einzelner Stoffe insbesondere in kleineren Fliessgewässern mit einem hohen Abwasseranteil im schweizerischen Mittelland erhöht sind. Dabei werden teilweise die sogenannten PNECs (predicted no effect concentrations) überschritten, das heisst, Konzentrationen erreicht werden, bei denen Schädigungen von Wasserlebewesen zu erwarten sind.
Mit dem Stoffflussmodell berechnete Diclofenac-Konzentrationen in Gewässern unterhalb der Kläranlagen bei Minimalabfluss (Q347). Für Diclofenac gibt es einen ökotoxikologisch basierten Richtwert von 100 ng/L. Unterhalb der roten und dunkelroten Kläranlagen ist dieser Wert überschritten.
Szenarienanalyse
Unter Berücksichtigung der Resultate des Stoffflussmodells wurden daraufhin Szenarien definiert, mit denen die Einträge von Mikroverunreinigungen aus kommunalen Kläranlagen verringert werden können. Beispiele für Szenarien sind:
- Ausbau aller Kläranlagen, die grösser als 50'000 EW sind.
- Ausbau aller Kläranlagen, bei denen der PNEC für Diclofenac überschritten wird.
- Ausbau aller Kläranlagen, die an einem See liegen (Nitrifikation erforderlich).
Mit dem Modell konnten anschliessend die Auswirkungen der einzelnen Szenarien auf die Gewässerqualität berechnet werden. Indem diese Resultate mit Kostenschätzungen für die weitergehenden Verfahren (Ozonung, Dosierung von Pulveraktivkohle) des Ingenieurbüros Hunziker-Betatech gekoppelt wurden, konnten auch die (Gesamt-)Kosten für die einzelnen Szenarien ermittelt werden.
Publikationen
Ort, C., Hollender, J., Schaerer, M. and Siegrist, H. R. (2009). Model-Based Evaluation of Reduction Strategies for Micropollutants from Wastewater Treatment Plants in Complex River Networks. ES & T 43(9), 3214–3220.
Abegglen, C., Rosenstiel, R., Ort, C., Schärer, M. (2009). Weitergehende Verfahren zur Elimination von organischen Spurenstoffen bei kommunalen Abwasserreinigungsanlagen. Korrespondenz Abwasser 56(6), 584-592.
Ort, C. (2007). Mikroverunreinigungen - Nationales Stoffflussmodell. Gas-Wasser-Abwasser 11(2007), 853-859.