Abteilung Fischökologie & Evolution

Das Schweizer Seeforellenprojekt

Schwere Zeiten für wandernde Forellen in der Schweiz

Rund 75 % der einheimischen Fisch- und Krebsarten der Schweizer Gewässer sind gefährdet oder vom Aussterben bedroht (gem. VBGF, Anh. I). Dies ist eine Folge jahrzehntelanger Veränderungen und Verlusten ihrer Lebensräume infolge der starken Nutzung und Verbauung unserer Gewässer. Neue Herausforderungen ergeben sich durch die Folgen des Klimawandels. Die Wanderformen der heimischen Forellen sind Paradebeispiele der stark bedrohten aquatischen Biodiversität und sind diesen Veränderungen besonders stark ausgesetzt. Aufgrund ihrer Wanderungen zwischen Wander- und Geburtshabitat sind sie gleich von zwei geeigneten Habitaten und dem ungehinderten Wechsel zwischen diesen Lebensräumen abhängig. In der Folge sind Seeforellen und Flussforellen heute als stark gefährdet gelistet, die Marmorataforelle gar vom Aussterben bedroht. Meerforellen sind in der Schweiz gänzlich ausgestorben, seit es auch ihr Verwandter, der Atlantische Lachs, nicht mehr den Rhein hinaufschaffte.

Die Komplexität der Forellen – das Wichtigste in Kürze

Die Atlantische Forelle (Salmo trutta) ist in der Schweiz mit Abstand die häufigste und auch bekannteste Forellenart. Nebst der Atlantischen kommen hierzulande noch vier weitere einheimische Forellen vor, die getrennten Einzugsgebieten entstammen (mehr dazu in der FIBER Broschüre „Forellen in der Schweiz“). Oft wird auch von Bachforellen, Seeforellen, Flussforellen oder Meerforellen gesprochen. Dabei handelt es sich allerdings nur um umgangssprachliche Namen für verschiedene Erscheinungsformen, die innerhalb einer selben Forellenart oder gar Population vorkommen. Forellen können also unterschiedliche Lebensweisen annehmen. Dies ist vor allem von der Atlantischen Forelle bekannt, kommt aber auch bei anderen Salmoniden vor, beispielsweise bei der im Tessin heimischen Marmorataforelle (S. marmoratus).

Bei den Lebensweisen unterscheidet man zwischen zwei Hauptstrategien. Einerseits die Sesshaftigkeit und im Gegensatz dazu die verschiedenen Wanderformen. Nach ein bis zwei Jahren im Geburtsbach scheiden sich die Wege der Jungforellen. Einige entscheiden sich dafür, in ein profitableres Habitat abzuwandern. Dies kann ein See sein, aber auch ein grösserer Fluss oder das Meer. Dort können die Forellen dank hochwertigerer Nahrungsressourcen schnell wachsen und später als grosse und somit erfolgreiche Laichtiere ins Geburtsgewässer zurückkehren, vergleichbar mit dem Homing-Verhalten der Lachse. Sie werden erst im Wanderhabitat, also See, Fluss oder Meer, adult und kehren in der Regel nach ein bis drei Sommern zurück. Manche Individuen machen diese Wanderung mehrmals im Leben, andere schaffen es nur einmal. Diejenigen Jungfische hingegen, die nicht abwandern, werden im Geburtsbach adult. Sie verbringen das ganze Leben als Bachforelle im selben Habitat, unter Vorbehalt gelegentlicher Ortswechsel über kurze Distanzen.

Diese gegensätzlichen Lebensformen treten auch innerhalb einer Population auf, sofern die Möglichkeit zum Abwandern und Wiederaufsteigen ins Geburtsgewässer gegeben ist. Eine Seeforelle und eine Bachforelle könnten also Geschwister sein. Die Forellen einzelner Zuflüsse zu einem Wanderhabitat sollten dementsprechend als genetisch getrennte Populationen betrachtet werden, und nicht die Gesamtheit aller Forellen, die das Wanderhabitat vorübergehend gemeinsam nutzen. Dies zu verstehen ist von grosser Wichtigkeit, besonders im Hinblick auf nachhaltige Bewirtschaftungsmassnahmen.

Zeit zu handeln

Das Wissen um die selten gewordenen Wanderformen der Forellen ist gering und für die meisten Schweizer Gewässer stehen noch viele Unbekannte im Raum: Wie viele unterschiedliche Seeforellenpopulationen leben in unseren Seen? Wie sind sie strukturiert? Was genau bedeutet Flussforelle? Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) möchte solche und ähnliche Fragen beantwortet wissen und rasch handeln, um den Schutz und die Förderung der migrierenden Lebensformen der Atlantischen Forelle (Seeforelle und Flussforelle) und der Marmorata gewährleisten zu können. Aktuell werden mit einem grossangelegten Seeforellen-Forschungsprojekt und einem parallelen Projekt zur Flussforelle die für den nachhaltigen Schutz von Wanderforellen erforderlichen wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitet. Mittelfristiges Ziel ist ein modernes Management der wandernden Forellen, sowohl in Bezug auf das Fischereimanagement, als auch auf den Schutz der Lebensräume, die für den erfolgreichen Lebenszyklus der wandernden Forellen notwendig sind.

Ein schweizweites Forschungsprojekt

Im Rahmen eines vierjährigen Forschungsprogramms untersucht die Forschungsgruppe Flussfischökologie unter der Leitung von Dr. Jakob Brodersen an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, seit 2020 populationsspezifische Daten zur Seeforelle. Dabei soll für 21 Schweizer Seen in welchen Wanderformen von Forellen vorkommen, die Populationsvielfalt analysiert und dokumentiert werden. Die Wissenschaftler wollen herausfinden, wie viele genetisch getrennte Populationen jeweils zusammen in den verschiedenen Seen als sogenannte Metapopulationen koexistieren und welche Zuflüsse zur Fortpflanzung genutzt werden. Dabei soll in einigen Seen-Systemen auch der Einfluss aktueller und ehemaliger Besatzstrategien auf die genetische Vielfalt miteinbezogen werden. Mittels genetischer Methoden können in den Seen gefangene Forellen den jeweiligen Populationen aus den Zuflüssen zugeordnet werden, wodurch unter anderem abgeschätzt werden kann, welche Populationen den grössten Anteil am Gesamtbestand in einem See ausmachen. Weiter wird untersucht, inwiefern sich Individuen einzelner Populationen in ihrer Ökologie (Ernährung, Lebensraum, morphologische Anpassungen, Wachstum) und ihren „Lebensentscheidungen“ (Migration vs. Sesshaftigkeit, Timing von Wanderungen und Reifung) unterscheiden. Für diese Untersuchungen werden unter anderem Wachstumsanalysen aus den Schuppen, Isotopenanalysen aus dem Muskelfleisch, Analysen des Mageninhalts sowie morphologische Analysen eingesetzt. Das Seeforellenprojekt wird vom BAFU unterstützt. Gewisse Kantone beauftragen zusätzliche tiefergehende, gewässerspezifische Analysen.

Fischer und Forscher ziehen am selben Strang

Zur Erhebung der Daten ist das Forschungsteam auch auf Mithilfe aus der Öffentlichkeit angewiesen. Angelfischer und Berufsfischer aus allen Landesteilen stellen den Forschern Karkassen, Schuppen und Innereien gefangener Seeforellen zur Verfügung. Alleine wäre das Forschungsteam niemals in der Lage, so viele Seeforellen zu fangen wie die vereinten Kräfte der Schweizer Fischer/-innen. Zudem werden auf diese Weise die gefangenen Tiere zweifach verwertet, indem sie nebst der Konsumation auch der Wissenschaft dienen.

Fängst du selbst gelegentlich Seeforellen und würdest die Probensammlung gerne unterstützen? Erfahre hier, ob und wie du mithelfen kannst.

Eine zweite sehr wichtige Möglichkeit, um an Proben zu gelangen, bietet sich während der Laichwanderung der Forellen. Das Beproben der in ihre Geburtsgewässer zurückkehrenden Laichtiere liefert den Forschern unabdingbare Informationen zur Beantwortung wichtiger Fragestellungen. Dies wäre mit den in den Seen gefangenen Forellen allein nicht möglich. Beispielsweise sind die populationsspezifischen Grössen- und Altersunterschiede zurückkehrender Seeforellen von grosser Bedeutung für die Formulierung angepasster Fischereivorschriften. In der Laichzeit (ca. Oktober bis Januar) wird deshalb eng mit Kantonalen Fischereibehörden, Pächterschaften und Vereinen zusammengearbeitet. Die Laichfischfänge werden begleitet, um dabei Proben von den gefangenen Laichtieren nehmen zu können. Solche Kooporationen sind nicht nur eine Win-Win Situation für Behörden und Forscher, sondern vermindern auch zusätzliche Belastungen der Forellenpopulationen.

Hunderte Bäche als Referenz

Die Daten von Seeforellen allein genügen jedoch nicht, um die ganze Komplexität der Zusammensetzung sämtlicher Forellenpopulationen in den Seen zu verstehen. Auch kleine Zuflüsse können genetisch einzigartige Populationen beherbergen, woraus einzelne Individuen in die Seen abwandern und zu den jeweiligen Metapopulationen beitragen könnten. Würden nur Hauptzuflüsse beprobt, wäre es demnach nicht möglich, solche Individuen einer spezifischen Population zuordnen zu können. Um möglichst die gesamte genetische Vielfalt zu erfassen, betreibt das Forschungsteam deshalb zusätzlich auch in den kleinsten Zuflüssen der im Projekt untersuchten Seen sogenannte Referenz-Beprobungen. Nebst einer DNA-Probe werden Schuppen zur Altersbestimmung der Fische entnommen. Damit lassen sich Unterschiede zwischen den Wachstumsraten migrierender und sesshafter Forellen vergleichen. Die Referenzbeprobungen geben überdies einen spannenden Einblick in die Populationsdichten und die Verhältnisse zwischen sesshaften und wandernden Individuen, welche sich je nach Bedingungen in den Zuflüssen stark unterscheiden können. Letztlich erlauben die Referenz-Beprobungen auch die sehr interessante Fragestellung, wie bedeutend gerade die kleinen und kleinsten Zuflüsse für den gesamten Forellenbestand in einem See sind. Womöglich wurde die Wichtigkeit dieser Gewässer für ein nachhaltiges Management bislang unterschätzt.