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«Die Eawag ist auch ein Lösungsinstitut»

13. April 2023 | Simone Kral

Seit dem ersten Januar ist Martin Ackermann Direktor der Eawag. Genug Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen und auf anstehende Weichenstellungen des Schweizer Wasserforschungsinstituts zu blicken.

Sie sind nun seit 105 Tagen als Direktor der Eawag im Einsatz. Wie beurteilen Sie das Wasserforschungsinstitut nach dieser Zeit?

Ich kannte die Eawag ja aus der Perspektive als Forscher, Gruppen- und Abteilungsleiter und hatte so einen guten Einblick. Was mich jedoch neu beeindruckt hat, sind die vielen Forschungsaktivitäten und -projekte, von denen ich die Tragweite erst jetzt richtig erkenne. Zum Beispiel unsere Forschung rund um die Städte der Zukunft oder die zunehmende Hitze- und Trockenheitsproblematik. Aber auch unsere Vor-Ort-Projekte im Globalen Süden, wo es entscheidende Fragestellungen zur Zukunft der Wasserversorgung gibt. Hier habe ich viel dazu gelernt.

Imponiert hat mir vor allem das hohe Engagement aller Mitarbeitenden, die in ihren Bereichen und darüber hinaus an der Lösung der grossen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten. Die Motivation und die Leidenschaft sind immens.

Sie haben zu Ihrem Antritt gesagt, dass die Mitarbeitenden der Eawag agil sein müssen. Was meinen Sie damit?

Es geht darum, sich als Institution immer wieder zu hinterfragen und sich Gedanken zu machen, wie man mit dem, was man tut, die grösste Wirkung zum Nutzen der Gesellschaft entfalten kann. Also sich zu fragen, wie die Menschen am besten von der Forschung und dem Wissen profitieren können.

Kurz gesagt, agil sein heisst, sich zu fragen,
ob die eigene Arbeit bedarfsgerecht
und wo und wie der Nutzen am grössten ist.
Das gilt für alle Mitarbeitenden der Eawag.

Als Forscher weiss ich, dass Interesse und Neugierde die Treiber für Lösungen und Innovationen sowie für neue Konzepte und Technologien sind. Das heisst, es muss an der Eawag immer auch Raum für Forschung geben, die noch nicht gesellschaftlich diskutiert wird. Dieser Spielraum ist für den gesamten Forschungsprozess essenziell. Zentral ist, dass wir Erkenntnisse – das Verstehen, wie Dinge funktionieren – zusammenbringen können mit der Entwicklung von Lösungen für reale Probleme.

Daher sind wir kein rein akademisch getriebenes Institut. Wir sind ein Forschungs- und Lösungsinstitut.

Und was ist Ihre Rolle dabei?

Jede Forscherin und jeder Forscher ist in seinem Umfeld vernetzt und weiss um die relevanten Fragestellungen. Meine Rolle ist es, mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Direktion die Probleme und Herausforderungen auf einem breiteren Spektrum zu identifizieren und diesen Überblick mit den Mitarbeitenden zu teilen. Ich bin eine Art Vermittler, der die Bedürfnisse erkennt und mit dem Wissen der Eawag-Mitarbeitenden kombiniert in die wissenschaftliche Diskussion einbringt. Dazu gehört es aber auch, den Rahmen des Möglichen und Machbaren auszuloten und schlussendlich die übergreifende Strategie zu definieren.

Sie haben auch die Direktion der Eawag neu aufgestellt, warum?

Das ist richtig. Lenny Winkel und Florian Altermatt verstärken seit März die Direktion. Christian Stamm ist neuer stellvertretender Direktor der Eawag.

An der Eawag ist die Direktion ein strategisches Organ, das nicht in die Linie eingebunden ist. Es ist die Idee, für eine gewisse Zeit im Dienste der Institution zu arbeiten und seine individuelle Expertise einzubringen. Um auch hier schneller und beweglicher zu sein, werden die Mitglieder neu im Rotationsverfahren für einen gewissen Zeitraum in der Direktion arbeiten. Das erlaubt es den Kolleginnen und Kollegen, einerseits in ihren Forschungsbereichen weiterzuarbeiten und andererseits bekommt das Gremium so die Beweglichkeit, um auf strategische Entwicklungen zu reagieren. Auch hier ist das entscheidende Stichwort erneut Agilität, im Sinne unseres Auftrags.

Was sind Ihrer Meinung nach die grossen Herausforderungen und wie will die Eawag diesen begegnen?

Zentrale Themen sind Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Nährstoffkreisläufe und das Einbringen neuartiger Substanzen und Organismen in unsere Umwelt - Themen, die wiederum vielfach durch Wasser verbunden sind. Wasser steht im Zentrum und im Spannungsfeld komplexer und zum Teil konkurrenzierender Systeme.

Das macht unsere Forschung elementar,
da sie von der Erkenntnis bis zur Umsetzung unterstützt -
in der Schweiz, in Europa und global.

Wichtig ist hierbei ein klarer Fokus. Dieser ist bei uns das Wasser. Um die Vielfalt und Komplexität des Forschungsfeldes erfassen zu können, brauchen wir ein breites Forschungsprofil, eine vielfältige und interessengetriebene Forschung und das klare Ziel, Lösungen zu finden. Deshalb arbeiten an der Eawag Forschende aus Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften eng zusammen. Denn für die Lösung eines Problems macht Wissenschaft und Technologie oft nur den Anfang - danach sind es politische und gesellschaftliche Prozesse, die eine Lösung langfristig verankern. Dazu kommen enge Partnerschaften mit der Praxis und ein internationales Netzwerk. Zudem nehmen die akademische Ausbildung und die Berufsbildung an der Eawag eine wichtige Stellung ein.

Inwieweit betreffen die Herausforderungen auch die Zusammenarbeit innerhalb des ETH-Bereichs und mit anderen Institutionen?

Nehmen wir zum Beispiel die Klimakrise. Sie betrifft uns auf vielen verschiedenen Ebenen, da sie nicht nur unsere Umwelt verändert, sondern auch wie wir wirtschaften, wo und wie wir leben oder ob wir gesund sind und bleiben. Will heissen, die grossen Probleme sind komplex und übergreifend, was eine ganzheitliche Betrachtung erfordert. Und wir können diese nicht allein lösen. Dazu ist es notwendig, vorhandene Synergien im Forschungsbereich noch besser zu nutzen und neue auf- und ausbauen. Hinzu kommen enge Partnerschaften mit der Praxis und der Austausch und Dialog mit Behörden und der Politik.

Und wir sind Teil des ETH-Bereichs
und haben gemeinsam eine immense Innovationskraft.

Die Herausforderung ist nun, diesen Effort effizient und zielgerichtet zu koordinieren und nutzbar zu machen, ohne die jeweiligen Stärken zu schwächen. Ich bin der Meinung, dass der ETH-Bereich als führender Forschungsbereich der Schweiz, hier in einer Verantwortung steht– von uns darf man Lösungen erwarten.

Jüngst hat der Bundesrat Budget-Kürzungen angekündigt, die den ETH-Bereich betreffen werden. Was bedeutet das für die Eawag?

Die Kürzungen würden uns sehr herausfordern. An der Eawag ist der grösste Teil des Budgets gebunden – für Infrastruktur- und Personalkosten. Die Kürzungen würden bedeuten, dass unser kleines, flexibles Budget halbiert würde. Nebst den nationalen Aufgaben der Eawag würde unsere Arbeit und Forschung dadurch immens beeinflusst.

Wie geht es nun in den nächsten Monaten an der Eawag weiter?

Aktuell evaluieren wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aller Abteilungen, wo die strategischen Schwerpunkte der Eawag liegen. Wir führen Diskussionen, ob und wo wir unser Profil schärfen müssen und welche Ideen und Visionen wir aufgreifen und verfolgen wollen. Natürlich stellen wir nicht alles auf den Kopf und erfinden die gesamte Eawag neu. Doch ein Leitungswechsel ist eine gute Gelegenheit, um über die Bücher zu gehen und an Sinnvollem festzuhalten und neue, noch nicht ausreichend berücksichtigte Felder zu erschliessen.
 

Martin Ackermann im Portrait

Martin Ackermann hat Biologie an der Universität Basel studiert, wo er 2002 promovierte. Danach arbeitete er zwei Jahre lang als Postdoktorand an der University of California, San Diego. Im Jahr 2004 wechselte er als Oberassistent an die ETH Zürich und wurde im März 2006 zum Assistenzprofessor SNF und 2008 vom ETH-Rat zum ausserordentlichen und 2015 zum ordentlichen Professor ernannt. Neben seiner Professur leitete Martin Ackermann zehn Jahre lang an der Eawag die Forschungsabteilung Umweltmikrobiologie mit rund 50 Mitarbeitenden, die führend ist in lösungsorientierter Forschung in aquatischer Mikrobiologie.

Mit seiner Forschungsgruppe arbeitet Martin Ackermann an grundlegenden Fragen zur Ökologie und Evolution von Bakterien. Das Ziel ist es, das Verständnis der Biologie von Bakterien in der Natur zu erweitern und auch Erkenntnisse zu liefern, die für die Kontrolle und Nutzung bakterieller Aktivitäten von praktischem Mehrwert sind.

Martin Ackermann hat über 100 wissenschaftliche Publikationen in internationalen Zeitschriften veröffentlicht, viele davon in führenden interdisziplinären Journalen. Er ist Mitglied der European Academy of Microbiology und engagiert sich erfolgreich in der Nachwuchsförderung. Zudem war er von April bis Juli 2020 Vize-Präsident und von August 2020 bis August 2021 Präsident der Swiss National COVID-19 Science Task Force.

Seit 1. Januar 2023 leitet Martin Ackermann die Eawag als Direktor.

Titelbild: 105 Tage im Amt – Eawag-Direktor Martin Ackermann stellt einige Weichen neu, weiss aber auch ganz genau, um die vielen Stärken des Wasserforschungsinstitutes.
(Foto: Eawag, Peter Penicka)