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Rik Eggen: «Ich will mich in ein neues Leben stürzen»

13. November 2023 | Bärbel Zierl

Während drei Jahrzehnten hat Prof. Dr. Rik Eggen das Wasserforschungsinstitut Eawag geprägt und mitgetragen, davon 16 Jahren als Stellvertretender Direktor. Mit seiner diplomatischen, offenen und humorvollen Art war er Dreh- und Angelpunkt für zahlreiche Anliegen. Er hat Brücken in die Praxis geschlagen und die Eawag nach innen und aussen gekonnt vernetzt und versiert vertreten. Als kreativer Geist hat er zudem von Anfang an hierarchische Strukturen hinterfragt und eingefahrene Muster aufgebrochen. Jetzt verabschiedet er sich in den Ruhestand. In einem Interview blickt er auf die bewegten Jahre zurück.

Herr Eggen, während 30 Jahren haben sie sich für die Eawag, ihre Mitarbeitenden und die Wasserforschung engagiert, zuerst als Forscher, dann als Abteilungsleiter, später als Direktionsmitglied und von 2007 bis Anfang 2023 als Stellvertretender Direktor. Wie geht es Ihnen jetzt so kurz vor dem Abschied?

Mir geht es bestens. Ich bin froh, dass die Übergabe an die neue Leitung sehr gut funktioniert hat, also an meinen Nachfolger Christian Stamm und an den neuen Direktor Martin Ackermann. Jetzt freue ich mich auf die grosse Freiheit, die vor mir liegt. Ich werde einen klaren Schnitt machen. Ich will mich in ein neues Leben stürzen und nicht Teilzeit in der alten Welt hängen bleiben.

«Jetzt freue ich mich auf die grosse Freiheit, die vor mir liegt.»

Was genau haben Sie vor?

Im Moment freue ich mich vor allem auf die neue Freiheit. Einfach Zeit haben, spontan zu entscheiden, was ich machen will – in der Zeitung von einer Veranstaltung lesen und direkt dorthin gehen. Oder bei schönem Wetter einfach die Velos aufladen und für ein paar Tage nach Frankreich fahren. Es gibt jenseits der Forschung noch so viele spannende Dinge im Leben. Deswegen habe ich mich auch entschieden, schon ein Jahr früher, also mit 64 Jahren in Pension zu gehen.

Inspirierende Aussichten, doch lassen Sie uns auch zurückblicken. 30 Jahre Eawag – an welche Momente erinnern Sie sich besonders gern?

Das ist eine schwierige Frage. Es gab eine ganze Reihe von guten Momenten: Wenn ein Projekt finanziert wurde, wenn ein Doktorand erfolgreich abgeschlossen hat, wenn alle Studierenden die Prüfungen bestanden haben, wenn eine neue Trenntoilette entwickelt war, wenn ein neues Gebäude fertiggestellt war, wenn es Pommes in der Kantine gab und so vieles mehr. Leider gab es auch traurige Momente: Menschen, die schwer krank waren oder bei einem Unfall gestorben sind. Es gab auch viel Stress. Es war nicht immer nur Sonnenschein.

Gibt es etwas, dem Sie rückblickend gerne mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten?

Wir hätten das Thema Diversität früher, entschiedener und vor allem breiter anpacken müssen. Erst vor kurzem haben wir zum Beispiel eine jüngere Forscherin mit einer jungen Familie als Mitglied in die Direktion geholt. Sie war bisher Gruppenleiterin und hat noch keine Erfahrung als Abteilungsleiterin. Das war früher nicht vorstellbar. Diese Offenheit, auch die Direktion divers zu gestalten und Nachwuchsforschende in verantwortungsvolle Positionen zu heben, finde ich eine sehr gute Entwicklung.

«Diese Offenheit, auch die Direktion divers zu gestalten und Nachwuchsforschende in verantwortungsvolle Positionen zu heben,
finde ich eine sehr gute Entwicklung.»

Was hat Sie vor 30 Jahren an die Eawag gelockt? Und was hat Sie motiviert, sich solange für die Eawag zu engagieren?

Ich kannte den damaligen Eawag-Direktor Alexander Zehnder. Er war vorher Professor an der Universität Wageningen, in der gleichen Abteilung, in der ich gerade meine erste feste Stelle angetreten hatte. Er hat mich gefragt, ob ich nicht in die Schweiz kommen wolle. Und ich dachte, cool, dann bin ich näher an den Alpen. Denn ich war damals Alpinist.

Warum ich 30 Jahre geblieben bin? Es war natürlich ein Privileg, mit so hochqualifizierten und hochmotivierten Leuten arbeiten zu dürfen, nicht nur in der Forschung, auch in den Supportabteilungen. Die Leute waren so offen, ihr Wissen zu teilen und zusammenzuarbeiten. Das hat mich motiviert. Es war aber auch ein sehr dynamisches Umfeld. Ich hatte ständig neue Aufgaben und Projekte, die Menschen haben gewechselt, es gab ständig neue Impulse. Das hat mich inspiriert.

Sie waren 16 Jahre Stellvertretender Direktor. Manchmal wurden Sie aber auch als «Aussenminister» betitelt, weil Sie in engem Kontakt mit zahlreichen externen Stakeholdern standen. Haben Sie diese Aufgaben gerne übernommen?

Ich habe das extrem gern gemacht. Als ich an die Eawag kam, war ich ein «Hardcore»-Grundlagenforscher, der als Molekularbiologe einzelne Nukleotide eines Genoms untersuchte. Schnell habe ich mich dann aber in die Zusammenarbeit mit der Praxis gestürzt, mit Ingenieurbüros, kantonalen und nationalen Behörden, der Industrie und NGOs. Als Stellvertretender Direktor kamen der ETH-Bereich und die Politik dazu. Das externe Umfeld, in dem sich die Forschung bewegt, hat mich sehr fasziniert. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Ingenieur- und Sozialwissenschaften hat mich interessiert, innerhalb und ausserhalb der Eawag. So wurde ich wohl zum «Aussenminister». Sehr gefreut habe ich mich auch über die Ernennung zum Ehrenmitglied des Verbands Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA als Anerkennung meiner Zusammenarbeit mit der Praxis.
 

Was ist aus Ihrer Sicht wichtig im Austausch mit diesen externen Gruppen?

Man sollte sich nicht nur auf der sachlichen Ebene begegnen, sondern immer auch als Mensch. Die Beziehungen müssen, wie überall, gepflegt werden. Das ist nicht immer einfach, da sich die akademische Welt und die Praxis sehr unterscheiden. Die Karrieren sind anders, die Probleme unterscheiden sich, die Sprache ist anders. Ich fand es extrem spannend, mich in diesen beiden Welten zu bewegen. Man muss viel zuhören und manchmal auch zusammen ein Bier trinken. So entstehen Offenheit und Vertrauen, eine wichtige Grundlage für den Austausch. Das gilt übrigens auch für interne Kontakte. Die sind genauso wichtig und müssen gepflegt werden. Manchmal wurde ich deswegen auch als «Innenminister» bezeichnet. 

«Man sollte sich nicht nur auf der sachlichen Ebene begegnen,
sondern immer auch als Mensch.»

Intensiv waren sicher die Monate und Jahre vor den Abstimmungen zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative im Jahr 2021. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Und was sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?

Das war einerseits spannend, andererseits schwierig. Spannend war es zu lernen, welche Aufgabe die Wissenschaft in der Zusammenarbeit mit der Politik hat: Ein Forschungsinstitut muss sich auf das verständliche Vermitteln von Daten und Fakten und das Aufzeigen der Konsequenzen möglicher Handlungsoptionen beschränken. Es ist nicht seine Aufgabe, Empfehlungen an die Politik abzugeben und sich in den politischen Diskurs einzumischen.

Schwierig war, dass sich die Praxis, mit der ich eng vernetzt bin, oft sehr aktiv in die politischen Diskussionen einmischt. Als Mensch hätte ich da gerne mitgemacht, als Stellvertretender Direktor war das nicht möglich. Meine Meinung nicht öffentlich sagen zu können, war für mich oft herausfordernd.

Neben ihren Aufgaben als Stellvertretender Direktor waren Sie weiterhin in der Forschung tätig. Worauf sind Sie besonders stolz in Ihrer Forscherkarriere?

Ich bin stolz, dass nach vielen Jahren Forschung im Projekt Micropoll jetzt die Kläranlagen in der Schweiz ausgebaut werden, um Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser zu entfernen. Weitere Meilensteine waren für mich mehrere grössere Forschungsinitiativen, deren Resultate heute in der Praxis umgesetzt werden, darunter das transdisziplinäre Projekt zur Urinseparierung Novaquatis, die interdisziplinäre Forschungsinitiative über die Auswirkung von Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern EcoImpact, das internationale Projekt über Pestizide in tropischen Regionen Pestrop und aktuell auch noch das Sinergia-Projekt zur nachhaltigen Transformation der Schweizer Landwirtschaft Trapego.  Vor kurzem habe ich zudem das Forschungsprogramm «Klimawandel und aquatische Biodiversität» mitinitiiert.

«Meilensteine waren für mich mehrere grössere Forschungsinitiativen,
deren Resultate heute in der Praxis umgesetzt werden.»

Besonders freue ich mich auch über die Gründung des Oekotoxzentrums als eine Art «Spin-off» der Eawag. Das habe ich mitinitiiert. Heute ist das Zentrum sogar europaweit für seine Kompetenz bekannt. Stolz bin ich auch auf die beiden VSA-Plattformen «Wasserqualität» und «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen», eine Idee von mir, die ich zusammen mit dem BAFU und der VSA umsetzen konnte. Die Plattformen sind heute zentrale Innovations- und Beratungszentren für den Vollzug. Sie sind eng mit unseren Forschungsabteilungen vernetzt und trotzdem unabhängig. So stellen sie den Wissenstransfer von der Eawag-Forschung in die Praxis sicher.   

Welche Rolle spielt die Wasserforschung heute angesichts der globalen Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Bevölkerungswachstum?

Wasser zieht sich wie ein blauer Faden durch viele globale Herausforderungen. Der Klimawandel wird im Wasser sichtbar. Die Energiewende ist über die Wasserkraft oder das Kühlen und Heizen mit Wasser eng mit Wasser verknüpft. Ohne Wasser ist keine Nahrungsmittelproduktion möglich. Die Biodiversität ist am stärksten im Süsswasser gefährdet. Mit dem Bevölkerungswachstum wird das nachhaltigen Managen von Trinkwasser und Abwasser immer wichtiger. Wasser schützt Siedlungen vor Überhitzung. Dazu kommen Konflikte rund um das Wasser. Denn wenn Menschen vor der Entscheidung stehen, entweder zu verdursten oder sich zu bewegen, dann werde sie sich auf den Weg machen. Das geschieht schon heute und wird sich in Zukunft noch verstärken. Diese Herausforderungen sind gewaltig und Lösungen müssen, unterstützt von der Wissenschaft, erarbeitet werden. Ohne Wasser im Fokus werden wir einige der globalen Herausforderungen nicht bewältigen können.

Seit über 30 Jahren sind Sie neben der Forschung auch in der Lehre tätig, zuletzt als Titularprofessor an der ETH Zürich. Wie wichtig war Ihnen diese Aufgabe?

Das war einfach schön. Die jungen Leute sind neugierig und interessiert. Das hat mich motiviert. Ich konnte meine Erfahrungen in der Inter- und Transdisziplinarität an die Studierenden weitergeben. Ich habe auch zahlreiche Doktoranden und Postdocs betreut. Das habe ich immer sehr gerne gemacht.

Wenn Sie auf Ihre Forschungskarriere zurückblicken, haben Sie einen Tipp für Nachwuchsforschende?

Für mich ist zentral, dass man das macht, wovon man selber überzeugt ist. Meine Erfahrung ist, dass es extrem schwierig ist, eine Karriere zu planen. Ich hatte nie geplant, Professor oder Stellvertretender Direktor zu werden. Es ist einfach passiert und vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück. Ich habe das gemacht, was ich spannend und wichtig fand. Mein Rat ist daher: Macht das, was ihr aus eigener Überzeugung machen möchtet. Dann seid ihr mit Begeisterung dabei und die Chance, dass es gut kommt, ist grösser. Und ein zweiter Tipp: eine gute Portion Demut und Humor.
 

Zur Person

Prof. Dr. Rik Eggen studierte Biologie an der Universität Nijmegen in den Niederlanden. Er promovierte in Molekularbiologie an der Universität Wageningen, wo er anschliessend als Forscher und Dozent tätig war. 1994 kam Rik Eggen an die Eawag, übernahm 1996 die Leitung der Forschungsabteilung Umweltmikrobiologie und baute die molekulare Ökotoxikologie an der Eawag auf. Ab 1999 war er als Dozent im Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich tätig und wurde dort 2004 zum Titularprofessor ernannt. 2005 wurde Rik Eggen Mitglied der Eawag-Direktion und wurde schliesslich 2007 vom ETH-Rat zum Stellvertretenden Direktor ernannt.

Titelbild: Während 30 Jahren hat Prof. Dr. Rik Eggen sich für die Eawag, ihre Mitarbeitenden und die Wasserforschung engagiert, zuerst als Forscher, dann als Abteilungsleiter, später als Direktionsmitglied und von 2007 bis Anfang 2023 als Stellvertretender Direktor (Foto: Peter Penicka).