Hochwasserinfos via Social Media

Beitrag aus dem Infotag-Magazin 2022

Dank einer automatischen Bildbearbeitungsmethode, die von der Eawag zusammen mit der photrack AG und der ETH Zürich entwickelt wurde, lassen sich im Internet gepostete Handyvideos als wichtige Datenquelle bei einem Hochwasser nutzen. Rettungskräfte können dadurch noch gezielter Schutzmassnahmen ergreifen oder die Bevölkerung frühzeitig warnen.

«Unwetter wütet in Lausanne», «Rekordregen setzen Vororte von Sydney unter Wasser», «Die Sintflut von Münster» – was heute schon regelmässig Schlagzeilen macht, dürfte mit dem Klimawandel weiter zunehmen. Starke Niederschläge werden in Zukunft wahrscheinlich häufiger und intensiver auftreten als bisher, was auch vermehrt zu Überschwemmungen führen wird. Städte sind davon besonders betroffen. Da die Wassermassen auf den asphaltierten Strassen und Plätzen schlecht versickern, suchen sie sich ihren Weg durch die Häuserzeilen; Strassen werden zu reissenden Bächen, Keller überflutet, und innert kürzester Zeit entstehen nicht nur riesige Schäden, auch Menschenleben sind gefährdet.

Da es oft lokale Unwetter sind, die solch heftige Niederschläge hervorrufen, ist es schwierig vorherzusagen, wann und wo Sturzfluten auftreten. Entsprechend schlecht können sich Städte darauf vorbereiten. Erschwerend kommt hinzu, dass im Stadtgebiet aus Kostengründen kaum Sensoren installiert sind, die bei Überschwemmung Fliessgeschwindigkeit oder Pegelstände des Wassers messen – Daten, die jedoch notwendig wären, um zukünftige Hochwasser auf dem Computer zu simulieren und die Gefahr zu berechnen.

Experimente in Übungsanlage der Armee

Ein Team um den Umweltingenieur João P. Leitão hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, diese Datenlücke bei den Wasserabflüssen zu schliessen. Dabei geht der Forscher neue Wege: «Wenn irgendwo etwas passiert, dauert es in der Regel nicht lange, bis in den sozialen Medien Handyvideos auftauchen – so auch bei Hochwasser. Wir wollten herausfinden, ob sich solche Filmchen als Datenquellen eignen.» In einem ersten Schritt fluteten die Forschenden Strassen und Keller einer Hochwasserübungsanlage, in der sonst Armee und Feuerwehr den Ernstfall proben. Während der kontrollierten Versuche erfasste ein Radargerät, wie hoch und schnell die Fluten waren. Gleichzeitig filmten die Forschenden das Hochwasser mit herkömmlichen Überwachungskameras und werteten die Bilder mit einem eigens entwickelten Algorithmus aus. Dieser berechnete anhand von natürlichen Strukturen auf der Wasseroberfläche wie Wellen oder Blättern die Fliessgeschwindigkeit und ermittelte mithilfe von bekannten Fixpunkten in der Anlage den Wasserpegel. Ein Vergleich zwischen Radarmessungen und Bildauswertung zeigte, dass Überwachungskameras verlässliche Daten zum Wasserabfluss liefern.

Mithilfe der Grösse von bekannten Gegenständen wird abgeschätzt, wie hoch sich das Wasser über dem Boden befindet. (Bilder: Chaudhary, P. et al.: Flood-Water Level Estimation from Social Media Images)

Neue Möglichkeiten für die Praxis

In einem nächsten Schritt untersuchte das Team um Leitão, ob sich entsprechende Daten auch aus im Internet geposteten Handyvideos herauslesen lassen. Bei solchen Aufnahmen fehlen jedoch oft Informationen zu Referenzpunkten, die nötig wären, um die Wasserhöhe zu ermitteln. Die Forschenden entwickelten deshalb mithilfe Tausender von Hochwasserbildern eine Methode, die zunächst ausgewählte Klassen von Objekten lokalisiert, deren Grösse ungefähr bekannt ist, zum Beispiel Personen oder Autos. Anhand dieser Werte konnten sie den Wasserstand zuverlässig abschätzen.

Für die Praxis eröffnet dies neue Möglichkeiten. Leitão: «Mit den Daten vergangener Überschwemmungen können zum Beispiel die Gefahrenkarten verbessert werden. Die grosse Stärke der Videos aus Facebook oder Instagram liegt aber vor allem darin, dass sie kostenlos und praktisch in Echtzeit Informationen zu einem Hochwasser liefern. Unsere vollautomatische Bildbearbeitung erlaubt nun Rettungskräften, genügend gut aufgelöste Filme zu nutzen, um damit am richtigen Ort Schutzmassnahmen zu ergreifen oder die Bevölkerung frühzeitig zu warnen.»

Erstellt von Christine Huovinen für das Infotag-Magazin 2022