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Kleine Kraft, grosse Wirkung: Wie die Planeten die Sonne beeinflussen könnten

29. Juli 2021 | Bärbel Zierl

Eine neue Theorie untermauert die umstrittene Hypothese, dass die Planeten die Sonnenaktivität beeinflussen. Sie zeigt einen Mechanismus auf, wie der sehr geringe Einfluss der Planeten einem solch grossen System wie der Sonne seinen Rhythmus aufprägen könnte. Bestätigt sich die Theorie, liesse sich damit die Sonnenaktivität womöglich besser vorhersagen. Das wäre von grossem Interesse, da grosse solare Eruptionen elektronische Infrastrukturen lahmlegen können.

Im Jahr 2012 publizierte der Eawag- und ETH-Forscher Professor Jürg Beer die Hypothese, dass die Planeten die Aktivität der Sonne beeinflussen. Er hatte zusammen mit Forschern aus Spanien und Australien mithilfe von Beryllium-Daten aus Eisbohrkernen die Zyklen der Sonnenaktivität für die letzten 10'000 Jahr rekonstruiert und mit der Bewegung der Planeten um die Sonne verglichen. Die Übereinstimmung war verblüffend. Die Sonnenaktivität und die Planetenbewegung wiesen ähnliche Rhythmen auf. Das legte einen Zusammenhang nah. Damit wuchs die Hoffnung, die zyklischen Schwankungen der Sonnenaktivität aufgrund der bekannten Planetenbewegungen vorhersagen zu können. Das wäre von grossem Interesse, denn in Zeiten grosser Sonnenaktivität treten vermehrt grosse solare Eruptionen auf, die Stromnetze, Kommunikations- und Navigationssatelliten lahmlegen können.

Neue Erklärung für umstrittene Hypothese

Doch die Hypothese von Beer ist in der Wissenschaft höchst umstritten. Der Einfluss der Planeten sei viel zu klein, um einen nachweisbaren Effekt auf die Sonnenaktivität ausüben zu können, waren und sind viele Forschende überzeugt. Doch nun hat Carlo Albert, Leiter der Eawag-Gruppe Mathematische Methoden in der Umweltforschung, gemeinsam mit Forschungskollegen aus der Schweiz und aus Spanien eine Erklärung gefunden, wie der winzige Effekt der Planeten die Aktivität der wesentlich grösseren Sonne doch beeinflussen könnte: die stochastische Resonanz. Unter bestimmten Bedingungen kann dieses Phänomen schwache, meist periodische Signale so verstärken, dass sie erhebliche Folgen haben.

Was bedeutet das nun für die Sonne und den Einfluss der Planeten? Die Sonnenaktivität weist einen klaren 11-Jahres-Zyklus auf. Das ist bekannt und unumstritten. Doch es gibt weitere Zyklen. «Mit einfachen mathematischen Modellen konnten wir zeigen, dass die Sonne im Prinzip zwei stabile Aktivitätszustände des 11-Jahres-Zyklus hat: einen aktiven Zustand mit grosser Amplitude und hoher Sonnenaktivität sowie einen ruhigeren Zustand mit kleiner Amplitude und geringerer Sonnenaktivität», erklärt Albert. Die Wissenschaft spricht von einem bistabilen System. «Wir gehen davon aus, dass die Sonne aufgrund von Turbulenzen in ihrem Inneren zwischen diesen beiden Zuständen hin und her springt.» Da die Turbulenzen zufällig auftreten, würde man eigentlich erwarten, dass diese Wechsel völlig unregelmässig und nicht vorhersagbar passieren.

Planeten geben den Takt vor

«Die Messdaten, die uns zur Sonnenaktivität zur Verfügung stehen, legen jedoch die Vermutung nahe, dass der Wechsel der Zustände nicht rein zufällig passiert, sondern häufig einen Rhythmus von etwa 200 Jahren aufweist», so Albert. Das wäre also neben dem 11-Jahres-Zyklus ein weiterer, überlagerter 200-Jahres-Zyklus. Als Ursache für diesen weiteren Rhythmus hatten Jürg Beer und seine Kollegen den Einfluss der Planeten vermutet. Dieser Einfluss ist aber äusserst gering. Albert und seine Kollegen haben nun eine Möglichkeit gefunden, wie dieser Einfluss gesteigert werden könnte. Unter geeigneten Bedingungen kann ein Rauschen in einem bistabilen System den Einfluss eines periodischen Treibers massiv verstärken – man spricht von stochastischer Resonanz. Die Turbulenzen im Inneren der Sonne (das Rauschen) würden dann den schwachen Einfluss der Planeten (der periodische Treiber) verstärken.  Die Planeten würden also dem zufälligen Hin- und Herspringen der Sonne zwischen den beiden Aktivitätszuständen seinen Takt aufprägen und den Rhythmus der Sonnenaktivität mitbestimmen.
 

Die stark vereinfachte Darstellung veranschaulicht schematisch das Auftreten von Grand Minima – Zeiträume mit geringer Sonnenaktivität – in einem Abstand von etwa 200 Jahren. In Realität sind die Schwankungen der Sonnenaktivität sehr viel unregelmässiger und mit vielen weiteren Zyklen überlagert.

Diese neue Theorie zu einem möglichen Mechanismus haben die Forscher jetzt in der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift Astrophysical Journal Letters publiziert. In einem nächsten Schritt werden sie nun untersuchen, in wieweit sich damit die Beobachtungen der Sonnenaktivität der vergangenen Jahrhunderte berechnen lassen. Das würde die Theorie bekräftigen und auch einen weiteren Schritt ermöglichen, nämlich die Vorhersage der Sonnenaktivität für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte.

Am Übergang zu einer Phase mit schwacher Sonnenaktivität?

Eine solche Vorhersage wäre von grossem Interesse. Denn was die Sonnenaktivität anbelangt, erleben wir im Moment eine spannende Zeit. «Nach der Hypothese von Jürg Beer, die jetzt durch unsere Theorie untermauert wird, befinden wir uns am Ende einer aktiven Phase mit einer grossen Amplitude des 11-Jahres-Zyklus. Wir müssten langsam auf eine ruhigere Phase zusteuern», sagt Albert. Derartige Phasen werden auch als Grand Minima bezeichnet. Und es gibt tatsächlich erste Anzeichen, dass sich der 11-Jahres-Zyklus abschwächt. «Ich beobachte im Moment alle paar Tage, wie sich die Sonnenaktivität entwickelt», sagt Albert. «Es dauert aber noch einige Jahre, bis wir sicher wissen, ob sich die Sonne wirklich in einem neuen Grand Minimum befindet.»

Interessant ist die Entwicklung der Sonnenaktivität vor allem deswegen, weil das letzte Auftreten eines Grand Minimums vor etwa 400 Jahren mit der Kleinen Eiszeit in weiten Teilen Europas in Verbindung gebracht wird, auch wenn dieser Zusammenhang noch nicht eindeutig belegt ist. «Aufgrund des Klimawandels wäre eine Abschwächung der Sonnenaktivität natürlich wünschenswert», sagt Albert. «Leider wird sie, wenn sie denn tatsächlich eintritt, die menschengemachte Erwärmung kaum kompensieren, sondern im besten Fall nur vorübergehend etwas abbremsen können. Es führt also weiterhin kein Weg daran vorbei, die Emissionen von Treibhausgasen radikal zu reduzieren.»

Titelbild: istock, Stock-Fotografie-ID:518622609

Originalpublikation

Albert, C.; Ferriz-Mas, A.; Gaia, F.; Ulzega, S. (2021) Can stochastic resonance explain recurrence of Grand Minima?, Astrophysical Journal Letters, 916(2), L9 (5 pp.), doi:10.3847/2041-8213/ac0fd6, Institutional Repository