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Prof. Bernhard Wehrli: Mit Schwung in den Ruhestand

27. Oktober 2022 | Andri Bryner

Vor 45 Jahren hat Bernhard Wehrli begonnen, an der ETH Chemie zu studieren. Seither war er Forscher, Abteilungsleiter und Direktionsmitglied an der Eawag, ETH-Professor und hatte zahlreiche weitere Funktionen. Nun ist er pensioniert, bleibt aber engagiert für das Wasser und die Nachhaltigkeit.


In seiner Abschiedsvorlesung blickt Bernhard Wehrli spielerisch zurück auf seine akademische Laufbahn.

«Ich war wohl immer für zu vieles zu neugierig», sagt Prof. Bernhard Wehrli, darauf angesprochen, dass der ETH-Rat zur Verabschiedung in erster Linie seine Verdienste als «Brückenbauer», nicht aber als angesehener Wissenschaftler betont hatte. Doch genau diese Neugier und Empathie für sein Gegenüber – nicht nur spürbar als scheinbar unerschöpfliche Energie, sondern oft sichtbar in seinen schalkhaft-herzlich leuchtenden Augen – hat vieles möglich gemacht und vielen geholfen entlang von Wehrlis erfolgreichen Laufbahn. Obwohl nun seit dem 1. August 2022 offiziell pensioniert, hat er noch einiges vor: «Ja, ich würde schon noch gerne die Welt retten», sagt er augenzwinkernd.
 

Am Einführungsreferat zum Thema «Gewässer in Zeiten  der Energiewende» am Infotag 2019.
(Foto: Eawag, Nicola Pitaro)

Reviews können auch zuhause verfasst werden

Mit der noch ausstehenden «Rettung der Welt» spricht Wehrli seine Nachhaltigkeitsforschung an, die er nun nicht einfach an den Nagel hängt. Seine Suche nach den Hebeln, wo die Gesellschaft ansetzen könne, gehe weiter, sagt er. Umso mehr als dass seine Frau, Prof. Christine (Tine) Bratrich ebenfalls in der interdisziplinären Forschung und angewandten Projekten zum Thema Nachhaltigkeit engagiert ist, seit 2021 an der Hochschule Luzern. Seine Büros an der ETH und an der Eawag in Kastanienbaum hat Wehrli aber geräumt, «man muss loslassen können». Ein Status als «Gast» muss genügen. Reviews kann man auch von zuhause aus verfassen. Nachhaltigkeit selber leben gehört bei ihm sowieso dazu: Die neue Freiheit eines Pensionärs hat er bereits genutzt und ist mit seiner Frau per Velo ans Nordkap gefahren.
 

Bernhard Wehrli am Infotag 2002 zum Thema «Alpine Gewässer – fragile Vielfalt in Bedrängnis». Das Thema ist 20 Jahre später aktueller denn je.
(Foto: Eawag, Tom Kawara)

Brückenbauer, aber auch mal unbequem

Ein Brückenbauer ist Bernhard Wehrli zweifellos – zwischen Studierenden und Dozierenden, zwischen den Disziplinen, innerhalb des ETH-Bereichs, an der Eawag, aber auch zur Praxis und zur Politik. Das heisst nicht, dass, dass seine Brücken immer von allen genutzt wurden: Gegenüber der Politik scheute er sich nicht, gut abgestützte Positionen mit der nötigen Hartnäckigkeit zu vermitteln. So erntete er zum Beispiel Ende 2019 Kritik von höchster Stelle, weil er im Kontext von zwei Volksinitiativen öffentlich auf den Handlungsbedarf wegen zu vieler Pestizide im Wasser hinwies. Auch mit der ETH-Schulleitung (Schliessung des Instituts für Wissenschaft und Politik) oder der Eawag-Führung (Reorganisation) war er nicht immer einig und getraute sich deutlich darzulegen, weshalb.

Engagiert für interdisziplinäre Lehre und Forschung

Einzelne Auseinandersetzungen waren aufreibend. Aber der Wissenschaftler und Gewässerschützer Wehrli konnte sich immer wieder an Erfolgen freuen. Ein Beispiel ist das interdisziplinäre Projekt «Ökostrom» (1997-2000). Darin hat die Eawag die bis heute gültigen Grundsätze für die Zertifizierung von nachhaltig aus Wasserkraft produziertem Strom erarbeitet. Teile des Projektes, so die aufgezeigte Schwall-Sunk-Problematik unterhalb von Kraftwerken, haben später sogar die Gesetzgebung beeinflusst. Das freut ihn – genauso wie der Dank von Studierenden aus den Umweltsystemwissenschaften oder der erfolgreiche Aufbau von interdisziplinären Gefässen an der ETH wie das Systempraktikum oder die ETH-Woche.

Forschung ist ritualisiert

Wehrli weiss, dass Erfolg in der Forschung relativ ist. «Wer den Kopf zu weit aus dem Fenster hält, wird von den Reviewern zurückgepfiffen», sagt er, «wirklich neue Ideen sind selten.» Oft werde das Gleiche mit neuen Methoden und neuer Technik lediglich noch genauer erforscht. Das ist nicht falsch, aber auf Dauer langweilig. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Forschung in den Augen des phantasievollen Chemikers stark ritualisiert sei, «fast wie die Kirche».

So richtig zufrieden kann man erst sein, wenn die eigenen Forschungsresultate dazu zwingen, die Lehrbuchkonzepte neu zu schreiben. Als Beispiel nennt Wehrli die Erkenntnis, dass die künstliche Belüftung von Seen die Rücklösung von Phosphor aus dem Sediment nicht verhindern kann – «es vergingen Jahre, bis wir diesen Prozess besser verstanden haben». Oder der überraschende Befund, wie grössere Mengen Methan aus Stauseen via Blasen an die Oberfläche steigen und so direkt in die Atmosphäre gelangen.
 

Die Eawag-Direktion 2005: Roland Schertenleib, Willi Gujer, Peter Reichert, Rik Eggen, Ueli Bundi, Bernhard Wehrli.
(v.l., Foto: Eawag, Charles Seiler)

Peak 2.0

Bernhard Wehrli wünscht der Eawag alles Gute: Er hoffe, dass die Eawag den guten Geist zu Gunsten des Wassers nutzen könne, zum Beispiel durch eine weitere Stärkung des Netzwerkes mit Ehemaligen, die überall in den Fachämtern bei Bund und Kantonen arbeiten. Als «PEAK 2.0» – als eine Erneuerung der praxisorientierten Eawag Kurse – bezeichnet er diese Vision. Wir wünschen ihm ebenfalls alles Gute.
 

Prof. Dr. Bernhard Wehrli (*1957), von 2002 bis 2022 ordentlicher Professor für Aquatische Chemie am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH, ist seit dem 1. August 2022 im Ruhestand. Wehrli kam 1991 als Assistenzprofessor an die ETH Zürich und war gleichzeitig für die Eawag tätig. Seine Forschungstätigkeiten konzentrieren sich auf Biogeochemie der Binnengewässer, Nährstoff- und Kohlenstoffkreisläufe, Redoxprozesse und Treibhausgasemissionen. Bernhard Wehrli war unter anderem Abteilungsleiter (1996-2005) und Direktionsmitglied (2005-2015) an der Eawag, Mitglied des Forschungsrates des Nationalfonds SNF (2005-2011) sowie Leiter des Instituts für Biogeochemie und Schadstoffdynamik (2016-2018) sowie Studiendirektor am D-USYS (2018-2021) der ETH.

Titelbild: Bernhard Wehrli und «sein» Techniker, Christian Dinkel an der «Free University Kastanienbaum» (Foto: Andri Bryner, Eawag)