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Sensible Kleinstlebewesen im Bach profitieren von bewaldeten Ufern

27. März 2023 | Isabel Plana

Wald ist für das Leben in Bächen entscheidend, vor allem im Einzugsbiet und im Oberlauf. Wie gross dieser Einfluss von Wäldern in der Uferzone ist, hat die Eawag-Forscherin Rebecca Oester quantitativ bestimmt und insbesondere bei sensiblen Arten einen grossen Effekt gefunden. Die Arbeit zeigt einmal mehr, wie eng terrestrische und aquatische Lebensräume miteinander verknüpft sind.

Nicht nur auf dem Waldboden, auch in Wasserläufen landet im Herbst eine Menge Laub. Und genau wie auf dem Waldboden gibt es auch in Bächen wirbellose Kleinstlebewesen, die sich von Laub und anderem organischem Material ernähren, es zersetzen oder darin Unterschlupf finden. Darunter zum Beispiel Flohkrebse und Insekten. Ihnen kommt neben Mikroorganismen, wie Bakterien und Pilzen, nicht nur eine Schlüsselrolle im Zersetzungsprozess zu – sie sind ausserdem eine wichtige Nahrungsquelle für Fische. Vor allem die sensibelsten Arten aus der Ordnung der Steinfliegen, der Köcherfliegen und der Eintagsfliegen kommen nur in intakten Bach-Ökosystemen vor, die ihre natürlichen Funktionen erfüllen können.

Welche Rolle spielt die Ufervegetation für Bäche?

Dass dort, wo viel Laub und anderes organisches Material im Bach landet, auch mehr Leben anzutreffen ist, scheint naheliegend. «Tatsächlich wurde aber bisher nur ungenügend untersucht, wie stark die Lebensgemeinschaften in verschiedenen Bachabschnitten von der Ufervegetation beeinflusst werden», sagt Rebecca Oester, Doktorandin am Wasserforschungsinstitut Eawag. Macht es einen Unterschied, ob ein Bach durch Wald oder Wiese fliesst? Und wenn ja, wie verändern sich Vorkommen und Vielfalt der wirbellosen Kleinstlebewesen und die Geschwindigkeit, mit der Laub im Bach abgebaut wird? Diesen Fragen ist die Gewässerökologin Oester in ihrer Doktorarbeit nachgegangen, und zwar im Rahmen eines institutionsübergreifenden Projekts unter der Leitung von Andreas Bruder, Gruppenleiter an der Fachhochschule Südschweiz SUPSI, und Florian Altermatt, Professor für Aquatische Ökologie an der Eawag und Universität Zürich.
 

Für ihr Experiment hat Rebecca Oester mit Laub gefüllte Fallen im Bachbett angebracht und verschiedene Parameter wie pH und Sauerstoffgehalt des Wassers gemessen. (Foto: Andreas Bruder, SUPSI)

Über 22’000 Kleinstlebewesen ausgezählt und bestimmt

Von Dezember bis Januar, der aktivsten Phase laubabbauender Kleinstlebewesen, nahm Rebecca Oester acht Wasserläufe – vier am Bodensee und vier im Tessin – unter die Lupe. Es handelte sich dabei um Kleinstbäche mit geringer Breite und kleinem Einzugsgebiet. «Kleinstbäche machen die meisten Gewässerkilometer in der Schweiz aus und sind damit ein besonders wichtiges Habitat für viele Lebewesen. Deshalb sind sie aus gewässerökologischer Sicht von grossem Interesse», erklärt Oester. Für jeden Bach wählte sie je einen bewaldeten und einen nicht-bewaldeten Bachabschnitt aus und stellte dort Fallen im Wasser auf: Grobporige Netze, die sie mit Laub befüllte und in welche die wirbellosen Kleinstlebewesen hineinkriechen konnten. Die Netze beliess sie so lange in den Bächen bis etwa die Hälfte der Laubmenge abgebaut war. Nach der Entnahme untersuchte Oester den Inhalt der Netze im Labor, um die Anzahl Tiere, die Biomasse und die Arten zu bestimmen. In minutiöser Arbeit schaute sie sich jedes einzelne Tierchen unter dem Mikroskop an – über 22'000 insgesamt.
 

An acht Kleinstbächen in der Region Bodensee und im Bleniotal im Tessin wurde untersucht, wie sich Vorkommen und Vielfalt der wirbellosen Kleinstlebewesen in bewaldeten und nicht-bewaldeten Bachabschnitten voneinander unterscheiden.
(Grafik: Oester, R. et al., Hydrobiologia, doi.org/10.1007/s10750-022-05049-7)

Sensible Arten in bewaldeten Abschnitten häufiger

«In manchen Proben habe ich Hunderte von Exemplaren verschiedenster Arten gefunden. Es ist erstaunlich, wie viel Leben allein schon eine Handvoll Blätter ermöglicht», sagt Rebecca Oester. Überrascht hat sie ausserdem, wie viele Tierchen in den Proben waren, die sich gar nicht direkt von Laub ernähren, wie etwa Süsswassermilben. Sie erklärt das so: «Der Wald als Ufervegetation ist nicht nur für laubfressendes Arten lebenswichtig, sondern auch für jene, die im Laub Rückzugsorte finden oder Jagd auf andere Kleinsttiere machen.» Nach der Auszählung und Artbestimmung zeichnete sich ein Muster ab: In den Proben aus den bewaldeten Abschnitten traten die sensiblen und die auf Laubabbau spezialisierten Arten in grösserer Zahl und Vielfalt auf, wobei der Unterschied bei den Bächen am Bodensee ausgeprägter war als bei jenen im Tessin. «Die Ufervegetation scheint bei sensiblen Arten einen besonders grossen Effekt zu haben», sagt Rebecca Oester.
 

Unter dem Mikroskop hat Rebecca Oester die Kleinstlebewesen aus den Proben der untersuchten Bäche bestimmt. Hier eine Köcherfliegen-Larve. (Foto: Rebecca Oester, Eawag)

Erwartungsgemäss wirkten sich die Unterschiede in der Ufervegetation auch auf die Laub-Abbaurate aus: Über alle acht Bäche betrachtet wurde das Laub in den Proben der bewaldeten Abschnitte rund dreimal schneller abgebaut. «Mit einem so grossen Unterschied hatten wir nicht gerechnet», sagt Oester. «In den bewaldeten Bachabschnitten waren die laubfressenden Lebewesen also nicht nur zahlreicher, sondern möglicherweise auch aktiver.»

Bäche profitieren vom Wald

Die Ergebnisse untermauern die Bedeutung des Waldes für die Lebensgemeinschaft in Bächen. Rebecca Oester präzisiert: «Besonders wichtig ist der Wald im Einzugsbiet und im Oberlauf. Denn das, was dort an Laub ins Gewässer gelangt, versorgt auch nicht-bewaldete Bachabschnitte flussabwärts mit organischem Material und Nährstoffen.» Bäche profitieren also davon, wenn Wald im Uferbereich erhalten wird und bei Renaturierungen auch die Vegetation rundherum ins Visier genommen wird. Jedoch: «Eine Reihe Bäume links und rechts entlang des Bachs ersetzt noch keinen Wald – im Wald ist der Laubeintrag viel grösser», so Oester.
 

Auf sensible Kleinstlebewesen wie die Steinfliegen hat die Ufervegetation einen besonders grossen Effekt. Ihre Larven waren in den Proben der bewaldeten Bachabschnitte häufiger anzutreffen als in jenen der nicht-bewaldeten Standorte.  (Foto: Andreas Bruder, SUPSI)

Ufervegetation wichtiger Faktor bei der Renaturierung von Bächen

Noch sind aber einige Fragen offen: Etwa, warum die Unterschiede bei den Bächen im Tessin weniger ausprägt waren. Welche Rolle verschiedene Waldgesellschaften spielen. Oder ob die Ufervegetation auf Mikroorganismen einen vergleichbaren Effekt hat. Letzteres untersucht Rebecca Oester in ihrem nächsten Projekt, bei dem sie die aquatischen Pilze in bewaldeten und nicht-bewaldeten Abschnitten unter die Lupe nimmt. Es bestehe noch viel Forschungsbedarf, sagt auch Andreas Bruder von der SUPSI: «Wenn wir Bäche effektiv schützen oder renaturieren wollen, müssen wir den Einfluss der Ufervegetation auf die verschiedenen Artengruppen im Ökosystem und auf das Nahrungsnetz als Ganzes besser verstehen.» Und Prof. Florian Altermatt ergänzt: «Die Arbeit zeigt einmal mehr, wie eng terrestrische und aquatische Lebensräume miteinander verknüpft sind, und wie wichtig es ist, beide Systeme kombiniert zu betrachten.»
 

Titelbild: In bewaldeten Gebieten gelangt von oben und von allen Seiten viel Laub in die Bäche – mit positiven Effekten für die wirbellosen Kleinstlebewesen im Gewässer. (Foto: iStockphoto / Mike Pellinni)
 

Originalpublikation

Oester, R.; dos Reis Oliveira, P. C.; Moretti, M. S.; Altermatt, F.; Bruder, A. (2023) Leaf-associated macroinvertebrate assemblage and leaf litter breakdown in headwater streams depend on local riparian vegetation, Hydrobiologia, 850(15), 3359-3374, doi:10.1007/s10750-022-05049-7, Institutional Repository

Finanzierung / Kooperationen

  • Eawag
  • Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI)
  • Universität Zürich
  • Universität Vila Velha, Brasilien
  • Schweizerischer Nationalfonds (SNF)