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Weniger und «grünere» Chemikalien zum Schutz der Biodiversität

15. Dezember 2022 | Andri Bryner

Zurzeit wird in Montreal an der UN-Weltbiodiversitätskonferenz an einem Rahmenabkommen zum Erhalt der Biodiversität gearbeitet. Nebst Pestiziden, Nährstoffen und Plastikabfall sollen neu auch weitere Chemikalien in Produktion und Verwendung eingeschränkt oder durch weniger problematische Stoffe ersetzt werden. Das jedenfalls empfiehlt eine Gruppe von Forschenden, darunter auch eine Umwelttoxikologin von der Eawag.

Der Verlust und die Isolierung von Lebensräumen sowie Chemikalien in der Umwelt sind wichtige Treiber des Biodiversitätsverlustes. Noch bis zum 19. Dezember verhandeln Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Forschende sowie Aktivistinnen und Aktivisten in Montreal (Kanada) darüber, wie die Gefährdung der Biodiversität reduziert werden kann. Der Entwurf zum Post-2020 Global Biodiversity Framework (Rahmenabkommen zum Schutz der Biodiversität ab 2020) enthält acht detaillierte Ziele und Massnahmen, aber auch Begründungen, weshalb Biodiversität für die Menschheit überlebenswichtig ist.

Das Ziel 7 fordert, die Biodiversität besser vor Bedrohungen durch chemische Verschmutzung zu schützen. Im bisher erarbeiteten Entwurf sind in diesem Ziel Pestizide, Nährstoffe und Plastikabfall explizit genannt. Eine Gruppe von Forschenden schlägt nun vor, weitere problematische Chemikalien aufzulisten, Produktion und Verwendung sämtlicher Chemikalien nicht weiter auszubauen und wenn möglich zu reduzieren sowie die Entwicklung von weniger schädlichen Ersatzstoffen zu fördern. Sie stützen sich dabei auf ihren soeben in der Zeitschrift «Environmental Science: Advances» veröffentlichten Artikel, welche Chemikalien die Biodiversität bedrohen und was dagegen getan werden könnte: «Policy options to account for multiple chemical pollutants threatening biodiversity»
 

Ziel 7 (bis 2030)

Verringerung der Verschmutzung aus allen Quellen auf ein Niveau, das der biologischen Vielfalt, den Funktionen des Ökosystems und der menschlichen Gesundheit nicht schadet, u.a. durch eine Reduktion der in die Umwelt gelangenden Nährstoffe um mindestens die Hälfte und der Pestizide um mindestens zwei Drittel sowie durch die vollständige Vermeidung von ins Wasser geleiteten Plastikabfällen.*

Die Forschenden fordern insbesondere die Aufnahme von mobilen langlebigen Stoffen wie Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS); toxischen Metallen und Halbmetallen; nicht oder nicht primär von der Landwirtschaft genutzten Bioziden sowie von hormonaktiven Substanzen. Zudem schlagen sie vor, künftig regelmässig zu überprüfen, ob neue Schadstoffe entdeckt wurden, welche die Biodiversität bedrohen. Falls ja, sollen diese in die Konvention aufgenommen werden.

Wissenschaftlich gestützte Lösungsvorschläge

Die Autorinnen und Autoren des Fachartikels zeigen nicht nur auf, welche Stoffe und Stoffgruppen die Biodiversität bedrohen. Sie schlagen auch drei Schritte vor, wie diese Bedrohungen verringert werden können:

Produktion und Emission von Chemikalien weltweit begrenzen: Was banal klingt, muss in der Umsetzung differenziert werden: Der Anfang muss bei den als problematisch bekannten Substanzen gemacht werden, für verdächtige Stoffe sollen Life-Cycle-Analysen erstellt werden, also Umweltbilanzen von deren Produktion über die Verwendung bis zur Entsorgung. «Zum Schutz der Biodiversität ist es an der Zeit, einige Gruppen von besonders besorgniserregenden Chemikalien einzuschränken» sagt die Uwelttoxikologin Ksenia Groh vom Wasserforschungsinstitut Eawag. Denn die Wissenslage sei klar, es liege nun an den verhandelnden Parteien in Montreal, entsprechend zu handeln.

Chemikalienmanagement verbessern: Über den Einfluss von Chemikalien auf die Biodiversität ist immer noch zu wenig bekannt, besonders in strukturschwachen Ländern. Weil aber gerade in diesen Ländern viele Hotspots der Biodiversität liegen, ist diesen Regionen ein besonderes Augenmerk zu schenken. Zudem – so die Forschenden – sollen die Regulierungsprozesse vereinfacht werden, indem etwa Gruppen von sehr ähnlichen Chemikalien zusammengefasst werden. «Es muss vermieden werden, dass ein problematischer Stoff einfach durch einen anderen, ebenso problematischen ersetzt wird, nur weil es zu lange dauert, bis für den zweiten Stoff ausreichend Daten vorliegen», sagt Eawag-Forscherin Groh.

«Sichere» Chemikalien entwickeln: Künftig sollen neue Wirkstoffe von Beginn weg so designt werden, dass sie möglichst rasch abgebaut werden und sich nicht in der Umwelt oder in Organismen anreichern. Für Chemikalien und Materialien soll schon vor ihrer kommerziellen Produktion klar sein, wie sie sich über ihre ganze Lebensdauer verhalten und wie von ihnen verantwortete negative Effekte auf die Umwelt minimiert werden können. Diese Strategie wurde zum Beispiel für neue Betablocker in der Medizin oder für gewisse Ionische Flüssigkeiten in der Elektrochemie bereits erfolgreich umgesetzt.

Titelbild: Kevin Hackert, Flickr