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Den Kleinsten gefällts wieder im Zürichsee

1. Dezember 2011 | Andri Bryner

Während andernorts das Artensterben beschleunigt abläuft, begünstigen die erfolgreiche Bekämpfung der Überdüngung und steigende Temperaturen im Zürichsee seit den 1970er Jahren offenbar eine wachsende Biodiversität beim Plankton. Ob sich das langfristig auch positiv auf die Fischvielfalt auswirken wird, ist offen. Genau unter Beobachtung stehen die neuen Arten bei der Wasserversorgung, denn unter ihnen sind auch Organismen, die giftige Stoffe produzieren können.

Sowohl die Menge als auch die Vielfalt an pflanzlichem und tierischem Plankton im Zürichsee sind in den letzten 30 Jahren gestiegen. Das hat eine Forschergruppe der Eawag zusammen mit Fachleuten der Wasserversorgung Zürich (WVZ) nachgewiesen. Ihre Ergebnisse wurden soeben in der Zeitschrift Oikos publiziert. Fanden sich in den 1970er Jahren noch rund 40 Phyto- und nur gerade 7 Zooplanktonarten, so waren es 2008 über 100 pflanzliche und 15 tierische Arten. Parallel zum Anstieg der Biodiversität dieser schwebenden, kleinsten Organismen im See wuchs auch ihre totale Biomasse. Vermutlich sind heute mehr Arten tolerant gegenüber der nährstoffarmen Situation und profitieren auch in grösseren Seetiefen von den wärmeren Temperaturen, während sich früher das Algenwachstum auf die obersten Schichten beschränkt hat.

Möglich gemacht hat die Untersuchung eine aussergewöhnlich lange Reihe von chemischen, physikalischen und biologischen Daten, welche die WVZ seit 1977 über der tiefsten Stelle im See erfasst. In 14 Tiefen von der Oberfläche bis 135m werden unter anderem regelmässig Temperaturen, pH-, Phosphor-, Stickstoff- und Lichtwerte gemessen. Dazu werden Proben von Phyto- und Zooplankton ausgezählt, analysiert und klassiert. Mit aufwendigen statistischen Methoden haben die Wissenschafter jetzt die Daten ausgewertet und die treibenden Faktoren hinter dem Resultat eruiert.

Charakteristisch für den zeitlichen Verlauf seit 1977 sind vor allem eine leichte aber stetige Zunahme der Wassertemperaturen (um rund 0.2 °C) und eine deutliche Abnahme der Phosphorkonzentrationen (von rund 90 auf 20 µg Phosphat-P/Liter). Zudem schwanken die Phosphorkonzentrationen heute über die Saison hinweg weniger als früher; ihre Bandbreite ist aber über verschiedene Seetiefen grösser geworden. All diese Befunde haben die steigende Artenvielfalt des Phytoplanktons begünstigt und zu stabileren Populationen geführt als noch vor 30 Jahren. Laut Projektleiter Francesco Pomati sind – vereinfacht gesagt – im See mehr ökologische Nischen entstanden, in welchen auch konkurrenzschwächere Organismen Raum, Licht und Nahrung zum Überleben finden. Die grössere Artenvielfalt des pflanzlichen Planktons hat dann seinerseits die wachsende Artenzahl beim Zooplankton (das sich vom Phytoplankton ernährt) gefördert. Dies obwohl steigende Wassertemperarturen eher zu einer Abnahme der Biodiversität beim Zooplankton führen.

«Die Klimaerwärmung und die erfolgreiche Bekämpfung der Überdüngung führen zu mehr Variation über die ganze Seetiefe. Das erlaubt mehr Arten ein Nebeneinander», sagt Pomati. Der Gewässerbiologe ist überzeugt, dass die Resultate aus dem Zürichsee auch für andere, ähnlich tiefe Seen Gültigkeit haben. «Und sicher wird unsere Arbeit die Diskussion über nachteilige Effekte der vom Menschen verursachten Umweltveränderungen bereichern», sagt er.

Unter den Profiteuren der veränderten Verhältnisse sind auch Arten, die nicht von allen gern gesehen werden, zum Beispiel die Burgunderblutalge Planktothrix rubescens, die toxische Microzystine produzieren kann. Diesem Cyanobakterium kommt die stabilere thermische Schichtung des Sees und die Versorgung mit Phosphat in tieferen Wasserschichten zu gute. Seine Zunahme wird von der Wasserversorgung Zürich speziell überwacht. «Wir beobachten die Entwicklung sehr genau, besonders in denjenigen Tiefen, wo Seewasser für die Wasserversorgung angesaugt wird», sagt der Mikrobiologe Oliver Köster von der WVZ. Grund zur Beunruhigung gibt es aber für die Konsumentinnen und Konsumenten sicher nicht, denn schon heute sorgen Filter- und Oxidationsmittel wie Ozon bei der Seewasseraufbereitung zuverlässig dafür, dass die Organismen und ihre toxischen Inhaltsstoffe nicht in die Zürcher Wasserleitungen gelangen.