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Keine Seen-Düngung für grössere Fische

25. Januar 2012 | Andri Bryner

Die Expertinnen und Experten des Wasserforschungsinstituts Eawag lehnen eine Drosselung oder Aufgabe der Phosphorelimination in Kläranlagen ab, und zwar aus folgenden Gründen.

 Vielfältige Nutzung statt Bevorzugung von Einzelinteressen

Die aktive oder passive «Düngung» eines natürlichen Sees degradiert diesen zu einer Fischzucht und gefährdet das Gleichgewicht der Interessen. Die Schweizer Seen erfüllen heute zahlreiche Ansprüche von Mensch und Natur, zum Beispiel als Trinkwasserreservoir, für Erholung und Tourismus oder für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität. Die Fischerei ist eine Nutzung unter vielen.

Erfolg nicht aufs Spiel setzen

Die Phosphorelimination aus dem häuslichen Abwasser durch die Kläranlagen ist eine Erfolgsgeschichte – Cleantech par excellence. Weltweit steht die dicht besiedelte Schweiz punkto Sauberkeit ihrer Gewässer einzigartig da. Viele Seen sind bezüglich Nährstoffverhältnisse und Algen-Produktion wieder auf einem besseren Stand als 1950. Dieser Erfolg wird gefährdet, wenn Seen aus Partikularinteressen gedüngt werden.

Vorsorgeprinzip hat Vorrang

Die umweltrelevanten Schweizer Gesetze und Vorschriften bauen alle auf dem Vorsorge- und dem Verursacherprinzip auf. Belastungen, die sich vermeiden lassen, sind zu vermeiden, bevor «Reparaturen» oder Ersatzmassnahmen nötig werden. Dies nicht zuletzt auch darum, weil Folgemassnahmen viel aufwändiger und weniger erfolgversprechend sind als das Vermeiden von Belastungen an der Quelle. Eine Reduktion der Reinigung des häuslichen Abwassers – gebührenfinanziert über die Verursacher – stellt dieses Prinzip in Frage.

Ziel ist der «naturnahe Zustand»

Die schweizerischen Umweltschutzgesetzgebung stellt darauf ab, mit einem vertretbaren privaten und öffentlichen Aufwand möglichst nahe an die natürlichen Umweltbedingungen heranzukommen. Dies ist beim Brienzersee nach einer längeren Phase mit zu vielen Nährstoffen nun langsam erreicht. Weil der Brienzersee von Natur aus sehr nährstoffarm ist, wird keineswegs «über das Ziel hinausgeschossen», wie die Motionäre implizieren. Die Abwassergebühren könnten mit einer Reduktion oder einer Aufgabe der Phosphorelimination kaum spürbar gesenkt werden.

Einzigartige Biodiversität bewahren

Einige Schweizer Seen – vor allem solche mit alpinen Einzugsgebieten – sind von Natur aus nährstoffarm (z.B. Thuner-, Brienzer-, Walen-, Vierwaldstättersee). In diesen Seen konnten zahlreiche nur dort vorkommenden (endemische) Arten überleben. Solche Lebensräume und die ökologischen Prozesse, welche diese Arten entstehen liessen, müssen bewahrt werden, denn Verluste lassen sich nicht rückgängig machen. Nährstoffreiche Seen mit grösserer Produktivität gibt es daneben weiterhin.

Keine unnötigen Risiken eingehen

Welche Folgen ein Anstieg der Phosphorkonzentration um einen Faktor 2-5, wie ihn die Motionäre verlangen, auf die Artenzusammensetzung im See hätte, lässt sich kaum prognostizieren. Unter Umständen werden ungewollt Arten bevorzugt, die nicht willkommen sind, mit irreversiblen Folgen. So ist z.B. noch viel zu wenig bekannt über die Hintergründe von Massenentwicklungen toxischer Blaualgen. Wer für ein solches Risiko haften würde, ist nicht geklärt.

Lockerung der Phosphorelimination macht keinen Sinn

Klar ist, dass die vorgeschlagene Lockerung der Phosphorelimination durch eine Reduktion oder Aufgabe der Phosphatfällung in den Kläranlagen rund um den Brienzersee aufgrund der Phosphor-Gesamtbilanz keine Sinn macht. Die Kläranlagen am Brienzersee könnten gar nicht genügend Phosphor «liefern», um die Konzentrationen im See über die natürlichen Schwankungen hinaus zu erhöhen. Für eine deutlich erhöhte Algenproduktion müsste der Brienzersee zusätzlich gedüngt werden. Eine solche einseitige «Bewirtschaftung» der Seenökosysteme zugunsten von Einzelinteressen lehnt die Eawag ab.