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Mit Teamarbeit gegen mutierte Trittbrettfahrer

21. Februar 2013 | Fabio Bergamin / ETH-Life

Die krankmachenden Salmonellen setzen auf Arbeitsteilung. Ein Teil von ihnen sorgt für das Gemeinwohl der Population, ein anderer Teil kann sich besser gegen Trittbrettfahrer der eigenen Art behaupten. Dieses Teamwork hat Ähnlichkeiten mit jenem von Bienen- und Ameisenvölkern und ist das Erfolgsrezept der Salmonellen bei der Besiedlung des Darms.

 Fruchtbar sein und sich vermehren. Wie bei allen Organismen ist die Reproduktion und die Weitergabe der eigenen Gene auch bei den Salmonellen des Lebens Kern. Als Ort der Vermehrung haben sich die Mikroorganismen die Gedärme von Wirbeltieren ausgesucht – eine biologische Nische, in der sie sich durchsetzen müssen, unter anderem gegen andere Bakterien. Behaupten müssen sich die Erreger jedoch auch gegen «Trittbrettfahrer», Mutanten der eigenen Art, welche die längerfristige Überlebensfähigkeit verloren haben.

Vor wenigen Jahren haben Wissenschaftler unter der Leitung von Wolf-Dietrich Hardt (Professor am ETH-Institut für Mikrobiologie) und Martin Ackermann (Leiter Abteilung Umweltmikrobiologie an der Eawag und Professor am ETH-Departement für Umweltsystemwissenschaften) herausgefunden, dass die Salmonellen im Darm von Mäusen in zwei verschiedenen Zuständen vorkommen, und dass nur der eine Zustand die bekannte Durchfallerkrankung auslöst. Nun konnten die Forscher in einer im Fachmagazin «Nature» veröffentlichten Arbeit zeigen, dass auch der zweite Zustand von Bedeutung ist. Das Erfolgsrezept der Salmonellen ist durch das Teamwork der beiden Zustände zu erklären. «Nur im Team sind sie erfolgreicher als Mutanten, mit denen sie konkurrieren», sagt Hardt. 

Winkelried-Salmonellen

Genetisch sind die beiden Varianten identisch. Sie unterscheiden sich jedoch darin, ob sie eine Proteinmaschinerie mit dem Namen T1 herstellen, die es den Mikroorganismen ermöglicht, aus dem Darminnern in die Darmschleimhaut einzudringen und dort eine Entzündungsreaktion auszulösen. Infolge dieser Entzündung ändern sich die ökologischen Bedingungen im Darminnern, wodurch die Salmonellen ohne T1 schneller wachsen können als die Bakterien der residenten Darmflora.

Rund ein Viertel der Salmonellen im Darm von befallenen Mäusen produziert T1. Diese Erreger haben jedoch eine schwere Bürde zu tragen. Sie vermehren sich langsamer als ihre T1-negativen Artgenossen und werden eher vom Immunsystem bekämpft. Die Gruppe der T1-positiven Erreger ist also quasi ein suizidbereites Kommando, das sich aufopfert, um die Lebensbedingungen für ihre T1-negativen Artgenossen im Darminnern zu verbessern. Die T1-positiven Salmonellen wurden in Anlehnung an den legendären Helden der Schlacht bei Sempach auch schon als Winkelried-Salmonellen bezeichnet.

Mittel gegen Abtrünnige

Für die vorliegende Arbeit stiess Roland Regoes, ein mathematischer Biologe am ETH-Institut für Integrative Biologie, zum Team. Mit Computersimulationen und Mausexperimenten konnten die Forschenden nun gemeinsam zeigen, dass bei den Salmonellen beide Varianten wichtig sind, um sich im Teamwork gegen Mutanten durchzusetzen.

In allen biologischen Systemen, wo ein Organismus seinen Artgenossen ein Kollektivgut zur Verfügung stellt – wie hier die T1-positiven Salmonellen die Darmentzündung –, können nämlich mutierte Artgenossen entstehen, die sich aus dem Kollektivgut einen Vorteil erschwindeln. So auch hier. «Während der Vermehrung der Salmonellen entstehen Nachkommen, die den Bauplan der Proteinmaschinerie T1 in ihrem Erbgut verloren und somit die Fähigkeit zum Eindringen in die Darmschleimhaut dauerhaft verwirkt haben», erklärt Hardt.

Diese Mutanten gedeihen dank der von den Ursprungs-Salmonellen verursachten Darmentzündung zunächst prächtig. Befallen sie einen neuen Wirt, können sie allerdings keine T1-positiven «Winkelried-Salmonellen» hervorbringen. Sie sind damit mittelfristig nicht überlebensfähig. Anders die T1-negativen Salmonellen mit der genetischen Fähigkeit zur T1-Produktion: Sie können sich sowohl gegen die Mutanten durchsetzen als auch in einem weiteren Wirt eine erfolgreiche Salmonellenkolonie begründen.

Natürlicherweise im Optimum

Das Team von T1-postiven und T1-negativen Salmonellen ist also ein Erfolgsgespann. «Das Verhältnis 1:3, in dem die beiden Varianten in der Natur vorkommen, ist genau jenes, mit dem sich die Salmonellen am erfolgreichsten gegen mutierte Schwindler wehren können», sagt Regoes. Dies haben die Computersimulationen ergeben, die er zusammen mit seinem Doktoranden Victor Garcia entwickelt hat.

Salmonellen sind nicht die einzigen Organismen, bei denen sich genetisch identische Individuen äusserlich und funktionell unterscheiden und die erfolgreich auf Teamwork setzen. «Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch bei staatenbildenden Insekten wie Bienen und Ameisen beobachten», sagt Médéric Diard, Postdoc an der ETH und Erstautor der Studie. Arbeiterbienen beziehungsweise Arbeiterameisen haben dasselbe Erbgut wie die Königin, unterscheiden sich jedoch von ihr im Äusseren und den wahrgenommenen Aufgaben erheblich.

Originalpublikation

Diard M, Garcia V, Maier L, Remus-Emsermann MNP, Regoes RR, Ackermann M, Hardt WD. Stabilization of cooperative virulence by the expression of an avirulent phenotype. Nature 2013. 494: 353, doi: 10.1038/nature11913

Der Mikroorganismus Salmonella typhimurium bildet zwei unterschiedliche Varianten aus, die miteinander kooperieren. Die virulente Variante (grün) wächst viel langsamer, als die nicht-virulente (dunkelblau; mikroskopische Aufnahme).
(Bild: A. Sturm und W.-D. Hardt / ETH Zürich)