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Wie die Bevölkerung Westafrikas vor Überschwemmungen gewarnt werden kann

8. April 2020 | Karin Stäheli

Martijn Kuller von der Abteilung Umweltsozialwissenschaften der Eawag ist Mitglied des von der EU geförderten FANFAR Horizon 2020 Projekts, das Hochwasserprognosen für Westafrika bereitstellt. Überschwemmungen stellen in diesem Teil der Welt eine immer grösser werdende Herausforderung dar. In den letzten Jahren gab es mehrere Überschwemmungen mit schwerwiegenden Folgen. In einem Interview berichtet Martijn von seinen Erfahrungen beim Aufbau eines Frühwarnsystems für Westafrika.

Martijn, worum geht es in diesem Projekt?

Wir wollen ein Frühwarnsystem für Überschwemmungen durch Flüsse und Regenfälle in Westafrika entwickeln. Dazu haben wir vier Workshops mit Fachleuten aus 17 Ländern organisiert. Der dritte hat kürzlich in Abuja, Nigeria, stattgefunden.

Es nehmen je ein Hydrologe und ein Notfallmanager pro Land teil sowie wichtige regionale westafrikanische Organisationen. Mithilfe der Inputs, zum Beispiel welche Funktionen das System erfüllen soll, konnten wir unser Pilotsystem weiterentwickeln.

Welche Rolle spielt die Eawag?

Wir wenden den Ansatz des Co-Designs an. Zuallererst fragen wir die Akteure, was ihnen wichtig ist und welche Eigenschaften das System besitzen sollte? Wir aktualisieren dann das Protosystem gemeinsam mit den Hydrologen und IT-Experten von FANFAR und lassen es dann beim nächsten Workshops von den Nutzern erneut testen. Durch die gemeinsame Entwicklung ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass das System die lokalen Gegebenheiten und kulturellen Hintergründe berücksichtigt. Afrika ist ein sehr vielfältiger Kontinent mit beträchtliche Unterschiede zwischen den Ländern. Allein schon die Sprache stellt eine Herausforderung dar.

Worin genau besteht deine Aufgabe in diesem Projekt?

Ich bin unter anderem dafür zuständig, über welche Informationskanäle die Prognosen verbreitet werden. Wir diskutierten darüber, welche Form der Hochwasserprognosen die Betroffenen am verlässlichsten dabei unterstützt, die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. Gemeinsam mit den Notfallmanagern arbeitete ich intensiv an der Optimierung des Prozesses. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Informationen des FANFAR-Systems genutzt werden und dass die geeigneten Massnahmen getroffen werden.

Was waren die grössten Herausforderungen, mit denen Du konfrontiert wurdest?

Die fehlende Kommunikations-Infrastruktur und auch das Finden der geeigneten Informationskanäle, denn die Kanäle sind nicht dieselben wie in Europa. Zum Beispiel Personen, die von Haus zu Haus gehen und Informationen verbreiten, das würde bei uns nicht funktionieren, in Westafrika aber durchaus. In vielen Gemeinden gibt es keine andere Möglichkeit, um Nachrichten schnell bekannt zu machen. Auch Sirenen werden in Afrika als verlässliches und wirksames Kommunikationsmittel angesehen, während bei uns das Mobiltelefonnetz wirksamer wäre.

Von einem hydrologischen Gesichtspunkt aus betrachtet besteht die Herausforderung in der starken Bebauung von flussnahen oder niedrig gelegenen Gebieten, die durch Hochwasser gefährdet sind. Doch die Menschen möchten hier aus anderen Gründen leben. Deswegen sind sie gefährdeter. Zudem gibt es keine Schutzmassnahmen und keine finanziellen Mittel. Dies ist wohl einer der Gründe, warum die Auswirkungen von Überschwemmungen viel schwerwiegender sind.

Welche Erkenntnisse hast Du für dich gewonnen?

Ich habe sowohl in wissenschaftlicher als auch persönlicher Hinsicht viel gelernt, zum Beispiel über die Bedeutung von Religion bei der Risikokommunikation. Das hätte ich nie gedacht. Kirchen und Moscheen könnten in Notsituationen die Glocken läuten oder die Menschen über die Lautsprecher der Moschee warnen. Diese Einsatzmöglichkeit hat mich überrascht. Deshalb würde ich in Zukunft religiöse Gruppen auf die Liste wichtiger Akteure setzen, um zu untersuchen, wie sie eingebunden werden könnten. Die Erkenntnis, dass die Religion in allen Lebensbereichen dieser Menschen präsent ist, hat mir die Augen geöffnet.

Drei von vier Workshops fanden bereits statt. Funktioniert das Warnsystem schon?

Während der letzten Regenzeit wurde das System von allen genutzt. Deswegen erhielten wir Berichte aus allen Ländern und auch viele Rückmeldungen während des letzten Workshops. Damit können wir die Funktionsfähigkeit des Systems überprüfen und verbessern. Wir haben die Berichte noch nicht ausgewertet, doch im Workshop haben wir gehört, dass das System ziemlich gut funktionierte.

Finanzierung / Kooperationen

FANFAR Konsortiumpartner:

  • Projektkoordinator (Dr. Jafet Andersson): Schwedisches meteorologisches und hydrologisches Institut (SMHI)
  • Centre Régional AGRHYMET (Hauptsitz in Niger, 13 Mitgliedsstaaten): Internationale spezialisierte Einrichtung für die Sahelzone und Westafrika; übermittelt für den Entscheidungsprozess relevante Informationen (Nahrungssicherheit, Frühwarnung und Katastrophenrisikomanagement)
  • Nigeria Hydrological Services Agency (NIHSA)
  • isardSAT (Spanien): R&D Unternehmen, das Dienstleistungen und Lösungen im Bereich Erdbeobachtung bereitstellt
  • Terradue (Italien): IKT-Unternehmen, das innovative Leistungen im Bereich Erdwissenschaften bietet, die für datenintensive Applikationen bestimmt sind (z.B. automatisierte Cloud-Datenspeicherung, Algorithmen für die Datenanalyse und hohe Rechenleistung)