Klimawandel und aquatische Biodiversität
Ein mehrphasiges Forschungsprogramm der Eawag und des Schweizer Bundesamtes für Umwelt (BAFU)
Steigende Wassertemperaturen und veränderte hydrologische Bedingungen als Folge des Klimawandels wirken sich zunehmend auf Süsswasser-Ökosysteme aus. Weitere vom Menschen verursachte Stressfaktoren sind unter anderem die chemische Belastung durch Pestizide oder die veränderte Habitatstruktur in Gewässern. Die Auswirkungen multipler Stressoren auf die Biodiversität von Süsswasser-Ökosystemen sind aufgrund der Wechselwirkungen zwischen Stressoren und Arten in aquatischen Nahrungsnetzen schwer vorherzusagen. Ein Verständnis dieser Effekte ist jedoch entscheidend für einen evidenzbasierten Schutz der aquatischen Biodiversität und für die Verwendung von biodiversitätsbasierten Indikatoren in der Gewässerbeurteilung. Mit Unterstützung des Schweizer Bundesamtes für Umwelt (BAFU) geht die Eawag diese Herausforderung mit Modellen, Feldarbeiten und experimentellen Ansätzen an.
Phasen des Forschungsprogramms
Phase 1 – Einfluss des Klimawandels auf die biologische Gewässerbeurteilung (“MSK Stresstest”)
Wirkt sich der Klimawandel heute und in Zukunft auf die Bewertung der Wasserqualität anhand von Bioindikatoren in der Schweiz aus?
Hintergrundinformationen
Wie in vielen anderen Ländern Europas und der Welt, basiert die Bewertung der Qualität von Oberflächengewässern in der Schweiz häufig auf Indizes, die das Vorhandensein oder Fehlen von Indikatortaxa, auch Bioindikatoren genannt, widerspiegeln. Es ist bekannt, dass der durch den Klimawandel verursachte Temperaturanstieg dazu führt, dass sich Arten sowohl nach Norden als auch in grössere Höhen bewegen. Die Verschiebungen von geeigneten Habitaten, die die lokale Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften verändern, können unsere Interpretation der biologischen Bewertung von Gewässern beeinflussen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Bioindikatoren unverhältnismäßig stark von der Erwärmung betroffen sind (Abbildung 1).
Diese vom Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterstützte Forschungsarbeit liefert für politische Entscheidungsträger notwendige Erkenntnisse über die Anwendbarkeit bioindikatorbasierter Indizes zur Überwachung der Oberflächengewässerqualität im Zeitalter des Klimawandels.
Forschungsziele und Methoden
In Phase 1 des Forschungsprogramms haben wir untersucht, inwieweit biologische Indizes für die Wasserqualität durch die Erwärmung in verschiedenen Klimawandelszenarien in der Schweiz beeinflusst werden (Abbildung 1). Wir nutzten bestehende Daten über das Vorhandensein oder Fehlen von Makroinvertebraten in Fließgewässern, die im Rahmen der Programme Biodiversitätsmonitoring Schweiz (BDM) und Nationale Beobachtung der Oberflächengewässerqualität (NAWA) sowie kantonaler Überwachungsprogramme zwischen 2010 und 2019 erhoben wurden. Innerhalb dieser Datensätze sind die Ephemeroptera, Plecoptera und Trichoptera (EPT) auf Artniveau bestimmt, während die anderen Taxa auf Familienebene bestimmt sind. Wir haben die Artenverteilung modelliert, um die Wärmeaffinität von Makroinvertebraten-Taxa in Schweizer Bächen zu bewerten und dabei den Einfluss anderer Umweltvariablen wie der Fließgeschwindigkeit, dem Einsatz von Insektiziden, der Lebensraumqualität und der Landnutzung zu berücksichtigen. Anschließend simulierten wir die Auswirkungen von Temperaturveränderungen in verschiedenen Szenarien (-1 bis +8 °C) auf die Zusammensetzung der lokalen Lebensgemeinschaften. Wir testeten, ob Temperaturveränderungen allein Auswirkungen auf folgende drei biologische Indizes haben würden: EPT-Artenreichtum, IBCH-Index und SPEARpesticides-Index.
Ergebnisse
Unser Modell sagte für 70 % der Makroinvertebraten-Taxa bei einem Erwärmungsszenario von +2 °C erhöhte Vorkommenswahrscheinlichkeiten voraus. Während ein erhöhter Artenreichtum auch den Wert verschiedener biologischer Indizes potenziell erhöhen würde, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die drei untersuchten Indizes (EPT-Artenreichtum, IBCH-Index und SPEARpesticides-Index) in den nächsten Jahrzehnten nicht stark von Temperaturveränderungen betroffen sein werden, wenn wir von einem Szenario mit moderater Erwärmung ausgehen (z. B. +2 °C, Abbildung 2). Wir weisen darauf hin, dass der von uns verwendete Ansatz zur Modellierung der Artenverteilung auf einer Reihe von Annahmen beruht: unter anderem unbegrenzte Ausbreitungsbeschränkung, fehlende evolutionäre thermische Anpassung und fehlender Einfluss von Arteninteraktionen. Zudem überschätzt unser Ansatz in leichtem Ausmaß die Indexwerte bei niedrigen Temperaturen und unterschätzt sie bei hohen Temperaturen im Vergleich zu den beobachteten Werten innerhalb des beobachteten Temperaturbereichs. Dies deutet darauf hin, dass das Modell weniger temperaturempfindlich ist als die beobachteten Indexwerte. Trotz dieser Einschränkungen zeigen unsere Ergebnisse, dass die derzeitige Messung der Wasserqualität auch in den kommenden Jahren verlässlich und nützlich sein wird, wenn keine extreme Erwärmung eintritt.
Weitere Einzelheiten können Sie gerne dem in Ecological Indicators veröffentlichten Artikel entnehmen.
Dr. Imran Khaliq
Wissenschaftler
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Phase 2 – Interaktive Effekte von Erwärmung und anderen Stressfaktoren auf aquatische Nahrungsnetze
Verändert der Klimawandel die Effekte anderer vom Menschen verursachter Stressfaktoren auf aquatische Ökosysteme?
Hintergrundinformationen
Auswirkungen multipler Stressoren auf Süsswasser-Ökosysteme
Im Zuge des globalen Klimawandels werden sowohl steigende Temperaturen als auch häufigere und extremere Wetterereignisse, wie z.B. Hitzewellen, erwartet. Diese klimatischen Veränderungen werden kurz- und langfristige Effekte auf die Biome der Erde haben, einschließlich der Still- und Fliessgewässer. Das Verständnis, wie Süsswasser-Ökosysteme auf höhere Durchschnittstemperaturen und Temperaturextreme reagieren werden, ist noch begrenzt, besonders wenn Wechselwirkungen mit anderen Stressfaktoren auftreten. Zu diesen Stressoren gehören zum Beispiel Einträge aus der Landwirtschaft wie Pestizide, Nährstoffe oder Feinsedimente sowie die strukturelle Verschlechterung der Lebensräume (Abbildung 1). Die Interaktionen zwischen klimawandelbedingten Temperaturveränderungen und anderen durch den Menschen verursachten Stressoren können zu abgeschwächten (antagonistischen) oder verstärkten (synergistischen) statt nur zu additiven Effekten auf Süsswasser-Ökosysteme führen. Für ein tieferes Verständnis der Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Stressoren sind daher experimentelle Ansätze erforderlich.
Abbildung 1. Süsswasser-Ökosystem bestehend aus verschiedenen trophischen Ebenen mit Produzenten, Konsumenten und Prädatoren des Nahrungsnetzes. Mit dem Klimawandel zusammenhängende Stressoren wie erhöhte Temperaturen und Hitzewellen (roter Kasten) sowie agrochemische Stressoren wie Pestizide oder Nährstoffe (grauer Kasten) stellen mehrere Stressfaktoren dar welche interaktive Effekte auf Individuen, Populationen und Lebensgemeinschaften haben können (Grafikquelle: Markus Hermann, Eawag).
Experimentelle Forschung mit Mesokosmen
Um die Effekte verschiedener Stressfaktoren auf aquatische Nahrungsnetze zu untersuchen, verwenden wir verschiedene Typen von Mesokosmen als Versuchseinheiten mit unterschiedlich komplexen Lebensgemeinschaften. Dank der an der Eawag vorhandenen Forschungsinfrastruktur zur Erfassung und Manipulation verschiedener Temperaturszenarien werden die Mesokosmen-Experimente in Versuchsteichen (lenitisches Süsswasser-Ökosystem) unterschiedlicher Grösse und in Versuchsrinnen (lotisches Süsswasser-Ökosystem) durchgeführt.
Direkte vs. indirekte isolierte und kombinierte Effekte
Erhöhte Temperaturen und Pestizide können als einzelne oder kombinierte Stressfaktoren direkte Effekte auf Lebensgemeinschaften verschiedener trophischer Ebenen eines Süsswasser-Ökosystems haben (Abbildung 2A-C). Erhöhte Temperaturen können sich auch direkt auf das Verhalten von Pestiziden in der Umwelt auswirken (Abbildung 2D). Direkte negative Effekte von Temperatur und Pestiziden können sich auf eine andere trophische Ebene auswirken (Abbildung 2E, F). Diese Effekte können durch sogenannte Bottom-up-Effekte (Abbildung 2G) oder Top-down-Effekte (Abbildung 2H) zu Kaskadeneffekten im Nahrungsnetz führen. Neben ihren direkten Effekten können Temperaturerhöhung und Pestizide also auch indirekte Effekte durch Interaktionen zwischen den Arten auslösen.
Abbildung 2. Direkte Effekte von Temperaturanstieg und Pestiziden, einzeln und in Kombination, auf die verschiedenen trophischen Ebenen eines Süsswasser-Ökosystems, einschliesslich Produzenten (A), Konsumenten (B) und Prädatoren (C). Erhöhte Temperaturen können das Verhalten eines Pestizids in der Umwelt (D) und damit seine Effekte auf aquatische Biota beeinflussen. Die direkten Effekte von erhöhten Temperaturen und Pestiziden können indirekte Effekte zwischen trophischen Ebenen, einschliesslich benachbarter trophischer Ebenen (E, F) und/oder Kaskadeneffekte über mehrere trophischen Ebenen (G, H) verursachen (Grafikquelle: Markus Hermann, Eawag).
Forschungsziel
In diesem von der Eawag koordinierten und vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterstützten Projekt untersuchen wir die isolierten und kombinierten Effekte von Stressoren auf verschiedenen trophischen Ebenen in Nahrungsnetzen von Süsswasser-Ökosystemen. Auf diese Weise wollen wir die möglichen negativen Effekte mehrerer Stressoren besser verstehen, vorhersagen und gegebenenfalls mildern, um die aquatische Biodiversität zu erhalten und zu schützen. Das Ziel des Projekts ist es ein besseres Verständnis dafür zu erlangen wie sich multiple Stressoren im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung auf Süsswasserlebensgemeinschaften sowie auf Ökosystem-prozesse und -funktionen auswirken. Da Studien die die zugrundeliegenden Mechanismen der Effekte multipler Stressoren untersuchen selten sind und aus ökologischer Sicht oft vereinfachte experimentelle Ansätze verfolgen, wollen wir in unseren Studien vollfaktorielle Experimente verwenden um Interaktionseffekte zu entschlüsseln. Mit diesem Ansatz lässt sich besser beurteilen wie isolierte und kombinierte Stressoren zu Veränderungen der aquatischen Biodiversität und der Ökosystemeigenschaften beitragen. Unsere neuen Erkenntnisse sind daher von Interesse für umweltpolitische Entscheidungsträger und Gewässermanager, aber auch für die zukünftige Risikobewertung von Chemikalien.
Phase 3 - Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Fischbewegungsmuster im Schweizer Rhein-Aare Flussnetz
Hintergrund
Im letzten Jahrhundert hat die Schweiz ihre Flüsse zur Stromerzeugung und zum Hochwasserschutz drastisch verbaut. Dies hat zu einer Fragmentierung des Lebensraums und folglich einer Störung der Fischwanderung geführt. Infolgedessen sind zwischen Süßwasser und Meer wandernde Arten wie Lachs und Stör ausgestorben. Barrieren in den Flüssen sind auch für im Süßwasser verbleibende Arten, die im Laufe ihres Lebens jedoch zwischen verschiedenen Lebensräumen umherziehen, problematisch. Kaltwasserarten sind außerdem mit folgenschweren negativen Auswirkungen steigender Temperaturen konfrontiert. Um Energieproduktion und Fischwanderung in einem sich verändernden Klima in Einklang zu bringen, sind Kenntnisse über Routen, den Zeitpunkt der Wanderung und den Zugang zu Kaltwasserzonen bei verschiedenen Flussfischarten erforderlich.
Forschungsfragen & Methodischer Ansatz
In diesem Projekt bauen wir in 4 Phasen ein großflächiges Netz von akustischen Empfängern im Rhein-Aare-Flussnetz auf (s. Abbildung 1). Dazu werden wir 200 akustische Empfänger im Rhein und in der Aare, als auch in den Nebenflüssen Limmat, Reuss, Thur und Saane, aufstellen und rund 900 Fische von 12 verschiedenen Arten mit akustischen Sendern markieren (siehe Tabelle 1). Sowohl die akustischen Sender als auch die Empfänger werden mit Temperatursensoren ausgestattet sein. Jeder Fisch wird außerdem mit einem sogenannten PIT-tag (passive integrated transponder) ausgestattet, die von Sendeantennen aktiviert und erfasst werden. Von jedem markierten Fisch werden wir neben der individuellen Länge und dem Gewicht auch ein kleines Stück Flosse für genetische Analysen zur Bestimmung der Populationsstruktur entnehmen, ein Foto für phänotypische Auswertungen machen, und Schuppen zur Bestimmung des Alters und des vergangenen Wachstums verwenden.
Unsere drei Hauptfragen, die alle von großer Relevanz für die angewandte Praxis sind, lauten (siehe auch Abbildung 2):
- Welches sind die art- und populationsspezifischen Migrationsrouten / Bewegungsmuster?
- Wann wandern die Fische? - Saisonale und tageszeitliche Muster der stromaufwärts und stromabwärts gerichteten Wanderungen unter dem Einfluss von Wassertemperatur und Abfluss.
- Welche Flussabschnitte und Refugien (z.B. Rückstaue/Überschwemmungsgebiete, Seen und Nebenflüsse) sind von besonderer Bedeutung?
Wichtig ist, dass das Hydrophonnetz über die Dauer des Projektes hinweg installiert bleibt und zudem anderen Forschungseinrichtungen, kantonalen Behörden, privaten Beratungsunternehmen und anderen Akteuren zur Verfügung stehen wird. Alle diese Institutionen können Fische mit akustischen Sendern markieren, sie freilassen und ihre Daten von einer zentralen Datenbank abrufen. Das Telemetrie-Netzwerk wird Teil des European Tracking Networks sein, um eine grenzüberschreitende Ortung zu ermöglichen.
Ziel der Forschung
Dieses von der EAWAG mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) geleitete Projekt läuft von 2024 bis 2028. In dieser Zeitspanne und unter sich ändernden Umweltbedingungen wie ansteigender Wassertemperaturen werden wir die Routen einiger der wichtigsten und gefährdetsten Fischarten und -populationen (basierend auf der genetischen Struktur) ermitteln. Dieses Projekt wird Wissen über großräumige Bewegungsmuster schaffen, welches für Sanierungsmaßnahmen von Wasserkraftanlagen wichtig werden kann. Dieses Projekt wird zudem aufdecken, welche Hindernisse für welche Arten unpassierbar sind und wo der Zugang zu Kaltwasserzonen gewährleistet ist.
Kollaborationen
Link zur Projekt Homepage und LinkedIn Outreach post
Publikationen
Beteiligte Forschungsabteilungen der Eawag
MSc Thesis Projekte
Eine Beschreibung der verfügbaren MSc-Projekte ist unter diesem Link verfügbar. Es gibt aber immer zusätzliche Möglichkeiten.
Wenn Interesse an unserer Forschungsarbeit besteht ist es am besten einfach direkt Kontakt aufzunehmen oder auf einen Besuch an der Eawag vorbeizukommen.