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Mikroverunreinigungen: Auch KMU tragen zur Belastung bei

7. April 2022 | Andri Bryner

Unterstützt von der Eawag, untersuchten Fachleute der VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen» die Stoffeinträge aus Industrie und Gewerbe in die Gewässer. Die gesamtschweizerische Analyse zeigt, dass auch das gereinigte Abwasser der Betriebe Mikroverunreinigungen enthält, welche in die Gewässer gelangen.

Chemikalien aus Baummaterialien, Putz- und Arzneimitteln oder Kosmetika gelangen mit dem häuslichen Abwasser zu den Kläranlagen. Je nach Ausbaustand werden diese Mikroverunreinigungen dort mehr oder weniger gut eliminiert. Ein Teil davon erreicht darum die Gewässer. Dazu kommen Pestizide, welche direkt von landwirtschaftlichen Flächen ins Grund- oder Oberflächenwasser gelangen. Die heute vom VSA publizierte Situationsanalyse zu den «Stoffeinträgen aus Industrie und Gewerbe in die Gewässer» zeigt jetzt, dass auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie die Industrie teilweise in beträchtlichen Mengen zur Fracht an solchen Stoffen in den Gewässern beitragen.

Abwassermanagement der KMU nicht auf Mikroverunreinigungen ausgerichtet

Die Gründe dafür sind vielfältig: In der Gewässerschutzverordnung existieren für Mikroverunreinigungen aus Industrie und Gewerbe keine stoffspezifischen Einleitwerte für das Abwasser. Oft ist das Abwassermanagement der Betriebe auf «klassische» Schadstoffe, wie Schwermetalle oder Öl- und Fettreste ausgerichtet und nicht auf Mikroverunreinigungen. Zudem ist die Stoffvielfalt riesig. Betrieben und Behörden fehlen oft die Kenntnisse über einzelne Inhaltsstoffe der eingesetzten Produkte. Zudem sind die pro Betrieb und pro Tag oder Woche abgegebenen Mengen klein. Werden sie jedoch auf eine Jahresfracht hochgerechnet, können sie doch ins Gewicht fallen. Projektleiter Pascal Wunderlin rechnet ein Beispiel vor: «Wenn ein Betrieb nur einmal in der Woche ein Kilogramm eines Medikamentenwirkstoffs mit dem Abwasser wegschickt, entspricht das pro Jahr rund einer Million Tabletten, die im Gewässer landen.»

Gemeinsames Vorgehen mit den Branchen und Betrieben

Die Analyse hat relevante Branchen und Prozesse identifiziert, welche nun näher unter die Lupe genommen werden sollen – immer gemeinsam mit den Firmen. Im Fokus stehen etwa Firmen, welche flüssige Sonderabfälle behandeln, Betriebe mit galvanischen Prozessen aber auch die chemisch-pharmazeutische Industrie. Erste Projekte der VSA-Plattform «Verfahrenstechnik Mikroverunreinigungen», zusammen mit dem BAFU, der Eawag und den Branchen sind lanciert. Ziel ist eine verbesserte Übersicht über die abwasserrelevanten Mikroverunreinigungen aus den priorisierten Branchen, sowie die Unterstützung von Behörden und Betrieben bei der Verbesserung der Situation.

Drei Fragen an Heinz Singer (Abteilung Umweltchemie)

Du warst in der Begleitgruppe zu dieser Analyse – was hat dich an den Resultaten am meisten überrascht?

Die enorm grosse Anzahl an möglichen Mikroverunreinigungen – Ausgangsstoffe, Zwischen-, Neben- und Umwandlungsprodukte, Wirkstoffe oder Lösungsmittel – sowie die zum Teil extrem hohen Frachten haben mich überrascht. Häufig kann bereits das Abwasser eines einzigen Betriebs zu einer erheblichen Gewässerbelastung führen Erstaunlich ist dabei, dass diese Situation nicht nur auf eine Branche oder einen Grossbetrieb oder eine Region in der Schweiz beschränkt ist.

Die Eawag forscht viel zu häuslichen Abwässern und deren Behandlung. Sollte sie sich jetzt (auch) mehr um industrielle und gewerbliche Abwässern kümmern sollte?

Der Bericht weist die Bedeutung von gewerblichen und industriellen Abwässern auf die Gewässerqualität eindeutig aus. Damit ist es aus meiner Sicht eigentlich unvermeidlich, dass sich die Eawag dem Thema verstärkt annimmt. Die Eawag sollte in Zusammenarbeit mit Verbänden und Industrie konzeptionelle Lösungsansätze erarbeiten. Die betriebsspezifischen Massnahmen sind Sache der Betriebe. Die Eawag ist denn auch bereits in einigen Projekten sehr aktiv in diesem Forschungsbereich tätig. Gerade von einem Forschungsinstitut kann es ja nicht heissen «Das Problem ist zu komplex und vielschichtig, also lassen wir es sein.»

Die Situationsanalyse zeige Handlungsbedarf, schreibt der VSA. Wo müsste angesetzt werden, um die Belastungen aus Industrie und Gewerbe möglichst rasch senken zu können?

Es gibt sicherlich keine One-Fits-All Lösung. Hierzu ist das Problem zu facettenreich. Sowohl bei der Produktion (Stichwort «green chemistry» oder «begnin-by-design») als auch bei der dezentralen Betriebsabwasservorbehandlung und der erweiterten, zentralen Abwasserbehandlung müsste angesetzt werden. In einigen Projekten haben wir gesehen, dass allein schon durch den intensiven Austausch und die Diskussion mit den Betrieben und Branchenverbänden anhand konkreter Messungen eine Bewusstseinsbildung für das Problem und damit eine Verhaltensänderung (sprich Massnahmen) ausgelöst wurden. Aber es braucht sicherlich zuerst systematische Erfassungen von Stoffeinleitungen, um diese Diskussion richtig starten zu können. Ein Teil der Problemlösung ist sicher auch die Informationsvermittlung mit Veranstaltungen, Schulungen und Informationsbroschüren in Zusammenarbeit mit den Branchenverbänden.

Titelbild: Relevante Branchen für Einträge von Mikroverunreinigungen in die Gewässer (Grafik: VSA, zeichenfabrik.ch und kun-st.ch)

Relevante Branchen für Einträge von Mikroverunreinigungen in die Gewässer
(Grafik: VSA, zeichenfabrik.ch und kun-st.ch)