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Umweltchemiker Walter Giger ist verstorben
19. November 2025 |
Eben noch war Walter Giger Gast am Eawag Infotag 2025 zum Thema, wie unser Grundwasser in Menge und Qualität besser geschützt werden könnte. Eben noch haben wir ihn von der Eawag-Medienstelle einer Journalistin als Gesprächspartner und Experte vermittelt, weil er bereits vor über 30 Jahren auf die gefährliche Persistenz und Akkumulation von perfluorierten Substanzen (PFAS) in der Umwelt hingewiesen hat. Eben noch. Und nun, nur zwei Monate danach, ist «Walti» am 6. November 2025 verstorben. Wenn auch bereits seit 2005 pensioniert, blieb der Chemiker, zeitweilig als offizieller wissenschaftlicher Gast, eng verbunden mit der Eawag. Wir verlieren mit ihm einen hervorragenden Experten, Vordenker, Netzwerker und Macher in der analytischen Chemie und für viele auch einfach einen Freund.
Vom Bundesrat beamtet
Walter Giger (*1943) hat 1968 an der ETH sein Diplom erhalten und 1971 promoviert. Er kam 1972 als wissenschaftlicher Angestellter an die Eawag. 1975 wurde er «ständiger Angestellter» und «wissenschaftlicher Adjunkt» und 1981 vom Bundesrat förmlich beamtet. Die sprichwörtliche Beamtenmentalität hat er zum Glück nie angenommen. Zweimal sandte ihn der damalige Eawag Direktor, Werner Stumm, zu – für ihn prägenden - Studienaufenthalten in die USA: 1973 ans Woods Hole Oceanographic Institut in Massachusetts und 1978/79 ans geochemische Labor des US Geological Survey in Menlo Park, Kalifornien nahe der Stanford University.
Professorale Würden
Ab 1977 war Walter Giger auch Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. Schon ab 1972 hatte er seine eigene organisch-chemische Gruppe, «the Giger Group». Im Pflichtenheft stand unter anderem, dass deren Arbeiten: «… die auf dem Einsatz modernster chemischer Instrumentalanalytik (Gaschromatographie, Massenspektrometrie etc.) basieren und eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Beurteilung der Wasserqualität und der Umweltchemie spielen.» 1991 und 1993-95 war er Leiter der Abteilung Chemie; mit der Reorganisation unter dem neuen Direktor Alexander Zehnder wurde er 1999 Prozessleiter «Chemische Problemstoffe». 1991 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität Karlsruhe ernannt und 1995 zum Titularprofessor an der ETH Zürich.
Walter Giger, immer unterstützt von Pionieren in der technischen Analytik, wie Kurt Grob, untersuchte früh das Verhalten von Spurenstoffen bei der Abwasserbehandlung in Kläranlagen. Seine Arbeiten zu Nonylphenolethoxylaten (Tenside in Wasch- und Reinigungsmitteln) deckten 1984 auf, dass diese zu toxischen Nonylphenolen abgebaut und von den Kläranlagen unvollständig entfernt wurden. Es dauerte allerdings bis 2003 bis die Verwendung von Nonylphenolethoxylaten und Nonylphenolen in der EU eingeschränkt wurde.
Highlights der Giger-Group
Walter Giger hat zahlreiche wissenschaftliche Preise erhalten bekommen. 2023 erhielt er den “Lifetime Achievement Award” von der Europäischen Chemischen Gesellschaft. Im Herbst 2023 war daher ein Eawag-Seminar den Verdiensten von Walter Giger und seiner Gruppe gewidmet. Unter dem Titel «Peaks in science and life» blickte er persönlich auf Höhepunkte seiner Forschung und bei Bergtouren zurück. Seine Präsentation kann hier abgerufen werden. Siehe auch Chimia Report 77/2023.
Zivilcourage, wichtige Auftritte und Arbeit als Editor
«Walti» hat viele junge Forschende an der Eawag aktiv unterstützt und sich auch bei der Direktion mit viel Zivilcourage für sie als Fürsprecher eingesetzt. Ihm, dessen Vorträge bei der NATO, der American Chemical Society oder an Gordon-Konferenzen viel beachtet wurden, war wichtig, dass Eawag-Forschende internationale Anerkennung erhielten. Er schlug daher immer wieder mit Erfolg Leute aus seinem Umfeld für grosse Wissenschaftspreise vor.
Themennummer von ES&T zur Pensionierung von Walter Giger 2008.
Sein über 16 Jahre dauerndes Engagement als Editor für die Fachzeitschrift «Environmental Science and Technology» (ES&T) hat viel zur internationalen Ausstrahlung der Eawag beigetragen. 2008 hat ihm ES&T eine eigene Ausgabe gewidmet. Die Umweltchemikerin Jennifer Field ehrt ihn im Editorial als Pionier, der das Feld der organischen Spurenanalytik vorangebracht habe. Er hätte, so Field, aber nicht nur Spurenstoffe analysiert, sondern auch untersucht, woher diese Substanzen stammten, wie sie umgewandelt werden (oder nicht), wie es um ihren Verbleib in der Umwelt steht und welche Auswirkungen sie in der aquatischen Umwelt haben. Aber vor allem hätte Walter Giger seine Erkenntnisse den Aufsichtsbehörden und der Industrie bewusst gemacht und damit echte Veränderungen herbeigeführt. Jennifer Field bestätigt auch die Rolle von Walter Giger als wichtiger Förderer und Mentor: «Vermutlich wird sein nachhaltigstes Vermächtnis die Vielzahl gut ausgebildeter Umweltchemiker sein, die in führenden Laboren und Behörden auf der ganzen Welt tätig sind», schreibt sie.
Netzwerker zu Praxis und Behörden
Tatsächlich hat Walter Giger früh und ohne Scheu vor Vorwürfen, die Unabhängigkeit der Forschung aufs Spiel zu setzen, mit der Praxis zusammengearbeitet, etwa mit Ingenieurinnen und Ingenieuren, um Stoffflüsse in der Siedlungswasserwirtschaft zu erfassen. Als Fachexperte arbeitete er zum Beispiel für das Eidg. Amt für Messwesen bei der Akkreditierung des Instituts Bachema als anerkanntes analytisches Labor. Die daraus entstandene Zusammenarbeit zwischen Bachema und Eawag, zum Beispiel in der Ausbildung von Lernenden, ist bis heute aktuell.
Kontakt zu Behörden und Privaten hat Walter auch aufgenommen, als es in einer Textilreinigung einen Trichlorethylen-Unfall gab, durch den das Trinkwasser der Eawag kontaminiert wurde. Und 1986, als er in vorderster Reihe in der Taskforce mithalf, um die Folgen des Sandoz-Brandes, respektive des vergifteten Rheins aufzuarbeiten. Er nahm sich immer die nötige Zeit, um die Probenahme- und Analyseverfahren zu validieren und zu optimieren.
Andere über Walter Giger (Testimonials)
Alexander Zehnder (Direktor Eawag 1992-2004): Für Walter Giger waren Qualität und Quantität zwei Seiten derselben Medaille. Diese Einsicht prägte die Strategie der Eawag und war Grundlage für ihren internationalen Ruf. Die Entdeckung eines Schadstoffs war Walti nicht genug; er bestand auf einem vollständigen qualitativen und quantitativen Verständnis seines Ursprungs, seines Schicksals und seiner Transformationen. Seine Forschung war darauf ausgerichtet, qualitative und quantitative Lösungen zu entwickeln, präventive Massnahmen und Sanierungstechnologien zu erarbeiten und korrigierende Vorschriften zu forcieren. Über seine beruflichen Beiträge hinaus war Walti ein zutiefst geschätzter Freund.
Lee Fergusson (Professor Duke University, Durham, North Carolina): Ich werde nie vergessen, wie ich Walter 2002, als er mich zur Verteidigung meiner Doktorarbeit besuchte, meine Forschungsstätte im New Yorker Hafen zeigte. Ich war sehr nervös, diesen «Giganten» auf dem Gebiet der Umweltchemie durch die Sümpfe der Jamaica Bay zu führen. Nichts hätte mich darauf vorbereiten können, wie engagiert er war und wie viel Spass es machte, mit ihm über das Leben und die Wissenschaft zu sprechen, während der Duft des Abwassers aus der Bucht in der Nase lag. Seitdem sind er und ich gute Freunde.
Hans-Peter Kohler (Arbeits- und Bergkollege, Gruppenleiter Mikrobiologie Eawag bis 2020): Walters enthusiastischer Einsatz für die Forschung hinderte ihn nicht im Geringsten daran, über den Rand dieses Tellers hinauszublicken. Walters berufliche Leistungen verdienen grösste Hochachtung, doch unsere von ganzem Herzen empfundene Wertschätzung gilt heute und für immer ebenso sehr seinen aussergewöhnlichen menschlichen Qualitäten.
Jerald (Jerry) Schnoor (Professor Emeritus University of Iowa USA): Walter Giger war mir seit den 1980er Jahren bei der Eawag ein wertvoller Freund und Kollege. Er und seine Frau Erika luden mich und meine Familie zum Abendessen und zu Gesprächen in ihr Haus ein, obwohl ich nicht in seiner Abteilung tätig war (und ich nur ein dummer Ausländer war, der die Sprache nicht beherrschte). In späteren Jahren arbeiteten Walter und ich eng zusammen als Herausgeber von ES&T. Seine Entdeckung von Nonylphenol aus Waschmitteltensiden in den Sedimenten war ein monumentaler Beitrag zur umweltanalytischen Chemie.
Martin Reinhard (1972-76 Mitarbeiter Giger Group, später Professor Stanford University): Als mich Walter Giger eingestellt hat, um sein Labor aufzubauen, stützte sich die Umweltchemie noch hauptsächlich auf aggregierte Parameter wie dem Gesamtgehalt an organischem Kohlenstoff und dem biologischen Sauerstoffbedarf ab. Walter entwickelte sein Forschungsprogramm bewusst so, dass es sich mit praktischen Problemen befasste und gleichzeitig modernste Analysemethoden einführte. Genauso wie er seine Bergsteigerexpeditionen plante – präzise und mit Liebe zum Detail. Ich bin Walter sehr dankbar für die wunderbaren Erinnerungen an unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit und unsere gemeinsamen Bergsteigerabenteuer.
Rolf Gloor und Sabine Ruckstuhl (Bachema AG): Walter war ein engagierter Wissenschaftler, der die grosse Gabe hatte, Leute zusammenzuführen und zu fördern. Sein Netzwerk reichte über die Akademie hinaus in die Privatwirtschaft, wo er seine Ideen für eine nachhaltigere Zukunft platzierte. Der Mensch Walter wird uns in lieber Erinnerung bleiben, nicht zuletzt wegen allem, was wir mit Walter bei Aktivitäten in der freien Natur erlebt haben.
Titelbild: Walter Giger 1992 (Foto: Eawag)
Die Gedenkfeier für Walter Giger findet am 25. November 2025 um 14 Uhr in der reformierten Kirche Zürich Höngg statt. Sie ist für alle offen.