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Wasser dezentral aufbereiten: von der Motivation zur Umsetzung
16. Februar 2023 |
Die Vereinten Nationen haben sich 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. Das Ziel 6 fordert, die Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle zu gewährleisten. Doch davon ist die Welt noch weit entfernt. Rund ein Fünftel der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und etwa ein Drittel keinen Zugang zu einer sicheren Sanitärversorgung.
Manchmal würden die technologischen Mittel für die Aufbereitung von Wasser durchaus bereitstehen. Insbesondere dezentrale Technologien ermöglichen es heute, Wasser kostengünstig und direkt vor Ort aufzubereiten. Dennoch werden sie mancherorts nicht genutzt. Nadja Contzen, Leiterin der Eawag-Forschungsgruppe Umwelt-Gesundheitspsychologie, und Josianne Kollmann, Postdoktorandin in der Gruppe, haben in einem «Modell der Wirkungspfade» das aktuelle psychologische Wissen darüber zusammengetragen, warum dezentrale Wasseraufbereitungstechnologien manchmal abgelehnt werden und mit welchen Massnahmen ihre Nutzung gefördert werden könnte. Das Modell haben sie heute im Journal «Nature Water» publiziert. Es fokussiert auf zwei Typen dezentraler Wasseraufbereitungstechnologien, Technologien zur Reinigung von Trinkwasser und Technologien zur Reinigung und Wiederverwendung von Abwasser. Die wichtigsten Aspekte und Erkenntnisse stellen sie hier im Interview vor.
Gerade in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen könnten dezentrale Wasseraufbereitungstechnologien dazu beitragen, Trinkwasser sicher aufzubereiten. Trotzdem stossen die technologischen Entwicklungen manchmal auf Ablehnung. Woran liegt das?
Josianne Kollmann: Da gibt es viele Faktoren. Die Menschen müssen sich erstmal bewusst sein, dass ungereinigtes Trinkwasser krankmachen kann. Aber selbst wenn dieses Wissen vorhanden ist, halten manche aus reiner Gewohnheit am Status quo fest: «Bisher haben wir das Wasser auch getrunken. Warum sollten wir das jetzt ändern?».
Nadja Contzen: Manche fühlen sich auch einfach überfordert von dezentralen Technologien. Sie glauben nicht, die Technik wirklich anwenden zu können und probieren es erst gar nicht. Besonders relevant ist dieser Aspekt der «fehlenden Selbstwirksamkeit», wenn die Einführung von Technologien verlangt, dass Menschen ihr gewohntes Verhalten verändern müssen. Nehmen wir die Chlorierung von Trinkwasser im Haushalt als Beispiel. Die Menschen müssen eine neue Routine entwickeln. Sie müssen das Chlor kaufen, die richtige Menge des Mittels abmessen und ins Wasser geben, das gechlorte Wasser umrühren und dann für mindestens eine halbe Stunde, am besten zugedeckt, ruhen lassen. Man muss also vorausschauend planen. Wenn man erst an die Chlorierung denkt, wenn man Durst hat, ist es eigentlich schon zu spät.
JK: Ein wichtiger Faktor sind auch lokale Normen: Wie normal oder verbreitet ist die Technologie bereits im bekannten Umfeld? Wenn in der Nachbarschaft die Technologie noch nicht genutzt wird, wollen viele nicht die ersten sein. Sie wollen sich nicht von ihrer Gemeinschaft unterscheiden und eine Sonderrolle einnehmen.
Auch bei der Reinigung und Wiederverwendung von Abwasser haben es dezentrale Technologien manchmal schwer. Was sind hier die Gründe?
JK: Wenn Abwasser dezentral, also direkt vor Ort gereinigt und wiederverwendet wird, gelten ähnliche Faktoren wie bei der Aufbereitung von Trinkwasser. Zusätzlich kommt hier das Ekel-Gefühl ins Spiel. Man ekelt sich davor, Wasser zu nutzen, das bereits gebraucht worden ist. Das ist aber auch abhängig davon, wofür das aufbereitete Wasser verwendet werden soll. Für die meisten Menschen ist es akzeptabel, damit ihr Auto zu waschen, die Toilette zu spülen oder den Garten zu bewässern. Je näher das Wasser jedoch dem Menschen kommt, desto grösser wird das Ekel-Gefühl und damit die Ablehnung. So reagieren viele ablehnend, wenn sie ihre Hände oder ihre Wäsche mit dem aufbereiteten Wasser waschen sollen. Das Wasser zu trinken, können sich dann nur noch die wenigsten vorstellen.
NC: Hier gibt es auch weitere spannende Erkenntnisse: Die Menschen vertrauen der Natur häufig mehr als der Technologie. Wird das gereinigte Wasser erst in einen Fluss eingeleitet, einige Kilometer weiter unten wieder entnommen und nochmals technologisch aufbereitet, vertrauen die Menschen dem Wasser mehr, als wenn das Abwasser direkt ohne Umwege in der Natur aufbereitet und wiederverwendet wird. Für viele Menschen hat die Natur quasi einen reinigenden und heilenden Effekt.
In Ihrem Artikel fassen Sie das bisher bekannte Wissen darüber zusammen, welche psychologischen Faktoren wichtig sind, um Menschen zur Nutzung dezentraler Wasseraufbereitungstechnologien zu motivieren. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
NC: Aus unserer Sicht wird bisher häufig zu wenig berücksichtigt, welche Art von Nutzung die dezentrale Technologie benötigt. Wir unterscheiden zwischen passiver, engagierter und aktiver Nutzung. Nehmen wir als Beispiel wieder die Chlorierung von Trinkwasser. Kann die Chlorierung passiv, also direkt an jener Quelle eingesetzt werden, an der die Menschen ihr Trinkwasser holen, haben die Menschen keinen zusätzlichen Aufwand. Müssen sie zudem nichts oder nicht mehr als bisher fürs Wasser bezahlen, sprechen wir von passiver Nutzung. In solchen Fällen ist die Einführung von Technologien verhältnismässig einfach. Die Menschen werden kaum die Wasserquelle wechseln, um die Technologie zu vermeiden.
Etwas schwieriger wird es, wenn die Kosten für das aufbereitete Trinkwasser steigen, die Leute zum Beispiel mehr bezahlen oder den Unterhalt der passiven Chlorierung übernehmen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu einer anderen Wasserquelle wechseln, ist bereits grösser. Häufig ist dann mehr Überzeugung nötig, denn die Menschen müssen die Technologie nicht nur akzeptieren, sondern unterstützen. Es ist also eine engagierte Nutzung nötig.
Am aufwändigsten wird es, wenn die Menschen dazu motiviert werden sollen, das Wasser im eigenen Haushalt zu chlorieren, denn das setzt eine Änderung des Verhaltens voraus; wir sprechen dann von aktiver Nutzung. Hier braucht es nochmals mehr Überzeugungsarbeit, um die Menschen zu motivieren, neue Routinen zu entwickeln und ihr Trinkwasser zu behandeln.
JK: Unser «Modell der Wirkungspfade» gibt einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse auf dem Gebiet. Gleichzeitig ist es ein erster Schritt zu einem Tool, das Praktikerinnen und Praktiker etwa aus Unternehmen, NGOs und Behörden, die dezentrale Wasseraufbereitungstechnologien einführen wollen, unterstützen soll, passende Begleit- und Promotionsmassnahmen zu planen. Abhängig von der Art der Nutzung zeigt das Modell auf, welche psychologischen Faktoren die Einstellung der Menschen beeinflussen können und welche Massnahmen bzw. Veränderungstechniken die Menschen motivieren könnten, die Technologie zu verwenden.
Das «Modell der Wirkungspfade» zeigt abhängig von der Art der Nutzung auf, welche psychologischen Faktoren die Einstellung der Menschen zu dezentralen Wasseraufbereitungstechnologien beeinflussen können und welche Massnahmen bzw. Veränderungstechniken die Menschen motivieren könnten, die dezentrale Technologien zu verwenden. (Quelle: nature water)
Was bedeutet das konkret?
JK: Bei Technologien mit passiver Nutzung kann es reichen, die Akzeptanz und damit die Nutzung zu fördern, indem man die gesundheitlichen Risiken von ungereinigtem Trinkwasser aufzeigt oder das Vertrauen in die Technologie stärkt. Bei der aktiven Nutzung, welche eine Verhaltensänderung voraussetzt, reichen diese Massnahmen meist nicht aus. Es können dann zum Beispiel Massnahmen nötig sein, welche die Selbstwirksamkeit der Menschen stärken – also die Überzeugung, dass sie die Kapazität oder Fähigkeit haben, die Technologie auch wirklich zu nutzen und ihr Verhalten anpassen zu können.
NC: Häufig braucht es hier ganz viele kleine Schritte, um die Menschen zu motivieren und um sie dabei zu unterstützen, ihre Motivation auch in die Tat umzusetzen. Wichtig ist dann auch, den Menschen zu zeigen, wie sie die neue Handlung – wie die Chlorierung von Wasser – in ihren Tagesablauf einbauen können und sich Erinnerungsstützen setzen. Am besten ist es, eine fixe Routine zu entwickeln, zum Beispiel immer zum gleichen Zeitpunkt am Morgen gleich nach dem Wasserholen das Trinkwasser aufzubereiten.
Titelbild: Nadja Contzen, Leiterin der Eawag-Forschungsgruppe Umwelt-Gesundheitspsychologie (links), und Josianne Kollmann, Postdoktorandin in der Gruppe (rechts). (Foto: Andri Bryner)