Spezialistin für das Aufspüren von Schadstoffen

Juliane Hollenders Gruppe fahndet mithilfe der hochauflösenden Massenspektrometrie nach unbekannten Mikroverunreinigungen im Grundwasser und untersucht, wie diese wirken und wie man sie entfernen kann. Denn Grundwasser ist unsere wichtigste Trinkwasser-Ressource. Die Umweltchemikerin schätzt es, wenn ihre Forschungsergebnisse direkt in die Praxis einfliessen.
«Ich trinke nach wie vor Leitungswasser aus dem Hahn», sagt Juliane Hollender. Dies obwohl die Ergebnisse der Analysen, die sie an der Eawag mit ihrer Forschungsgruppe durchführte, 2019 die breite Bevölkerung aufschreckten. «Gift im Trinkwasser» lautete damals die Schlagzeile der Schweizer Presse. Und weltweit beachtete die Fachwelt die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu den Wasseranalysen aus Dübendorf so stark, dass Hollender in den Jahren 2019 bis 2021 zu einer der weltweit meistzitierten Wissenschaftlerinnen zählte.
Was war geschehen? Die Umweltchemikerin erinnert sich: «Wir hatten bei einer Pilotstudie in Grundwasserproben verschiedene Abbauprodukte des in grossen Mengen verwendeten Pestizids Chlorothalonil gefunden, das die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde zuvor als potenziell krebserregend eingestuft hatte. Da Grundwasser die wichtigste Ressource für unser Trinkwasser ist, erregten wir damit grosses Aufsehen.» Hollender ist Leiterin der Eawag-Forschungsgruppe «Umweltverhalten von Schadstoffen» und Titularprofessorin an der ETH Zürich. Die Entdeckung der Abbauprodukte, die bis dahin noch nie im Grundwasser nachgewiesen worden waren, gelang mithilfe der hochauflösenden Massenspektroskopie. Damit lässt sich nach erwarteten Abbauprodukten und sogar nach unbekannten Substanzen suchen, im Fachjargon «Suspect-Screening» bzw. «Non-Target-Screening» genannt.
Naturwissenschaftlerin mit Ingenieur-Doktortitel
Hollender ist eine international anerkannte Expertin auf diesem Gebiet; sie hat es zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen an der Eawag aufgebaut, als sie vor 20 Jahren aus Deutschland in die Schweiz kam. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Köln. «In der Schule hatte ich einen sehr guten Chemieunterricht», erzählt sie: «Zudem hat mich interessiert, wie alles zusammengesetzt ist.» Deshalb beschloss sie, Chemikerin zu werden. Sie studierte an den Universitäten Bonn und Freiburg i. Br., spezialisierte sich dort in Biochemie und doktorierte 1994 an der Technischen Universität Berlin im Bereich Technischer Umweltschutz. «Ich habe zwar einen Ingenieur-Doktortitel, bin aber viel eher Naturwissenschaftlerin», sagt sie. Sie wählte daher bald das Gebiet der organischen Schadstoffe und ihrer Abbauprodukte als ihr Forschungsfeld und kam deshalb 2005 auch an die Eawag. «Das Angebot war sehr attraktiv, weil die Eawag sehr bekannt war – generell für Wasserforschung und speziell für meinen Themenbereich», erzählt sie.
Den Anstoss, im Grundwasser nach Abbauprodukten von Pflanzenschutzmitteln zu suchen, gab das Bundesamt für Umwelt (BAFU), mit dessen Fachleuten Hollender seit Jahren zusammenarbeitet, ebenso wie mit den Kantonen. Die Umweltchemikerin war anfänglich skeptisch: «Ich habe nicht erwartet, dass wir etwas Interessantes finden würden, da auf diesem Gebiet schon so viel geforscht worden war», erzählt sie: «Doch letztendlich haben wir wirklich etwas Neues aufgespürt.» Weitere Untersuchungen, auch der Kantone, zeigten, dass im Schweizer Mittelland Abbauprodukte von Chlorothalonil verbreitet das Grundwasser belasten. An mehr als 60 Prozent der Messstellen überschreitet ein bestimmter Metabolit den Grenzwert für Pestizide, die als Trinkwasser-relevant eingestuft werden. Dieser liegt bei 0.1 Mikrogramm pro Liter.
«Zum Glück darf Chlorothalonil nicht mehr angewendet werden», sagt Hollender. Doch das Problem wird uns vermutlich noch lange begleiten, da es oft Jahre dauert, bis Schadstoffe abgebaut oder ausgewaschen sind. «Grundwasser hat ein langes Gedächtnis», sagt die Wissenschaftlerin: «Früher wurde meist nur nach den Ausgangssubstanzen gesucht, doch diese kommen oft gar nicht im Grundwasser an; es sind vielmehr die Abbauprodukte, die wasserlöslicher und mobiler und damit für das Grundwasser auch relevanter sein können.»
Gegenmassnahmen testen
Trotzdem ist Hollender überzeugt, dass die Qualität des Grundwassers in der Schweiz so gut ist, dass man es als Trinkwasser bedenkenlos konsumieren kann. Denn die Wasserversorger bemühen sich um eine saubere Produktion, und bei den Grenzwerten handelt es sich um vorsichtige, vorsorgende Werte. Aber die Wasserfassungen müssen gut überwacht werden, und bei zu hoher Belastung braucht es Massnahmen. Deshalb war es ihr nach der Entdeckung der Chlorothalonil-Abbauprodukte im Grundwasser wichtig, zusammen mit anderen Eawag-Forschenden zu untersuchen, wie man diese Substanzen aus dem Trinkwasser entfernen kann. Fazit: Ozon zeigt keine Wirkung, Aktivkohle dagegen schon. «Allerdings braucht es relativ frische Aktivkohle», sagt die Wissenschaftlerin.
Diese angewandte Forschung, «bei der man sieht, dass unsere Ergebnisse direkt in die Praxis einfliessen», schätzt Hollender besonders. Ein Karriere-Highlight an der Eawag war für sie denn auch die Mitarbeit in einer Gruppe aus Wissenschaftlern und Ingenieurinnen, welche die Behandlung von Abwasser verbesserte. Von der Erforschung bis zur grosstechnischen Umsetzung dauerte es nur 15 Jahre. Dafür erhielten die Forschenden 2024 den Sandmeyer Preis der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft.
Kindergemälde im Büro
Die Preisurkunde hängt neben anderen Erinnerungsstücken an der Wand in Hollenders Büro. Besonders prominent: Ein grosses, farbenfrohes Gemälde. «Das hat mein Sohn als Junge gemalt», sagt Hollender: «Ich interpretiere es als irgendeine Welt, einen fremden Planeten vielleicht.» Inzwischen sind Sohn und Tochter erwachsen. Manchmal überlegt sich die Mutter, wie sie damals die Doppelbelastung von Familie und Beruf gemeistert hat. «Es war manchmal schwierig, aber irgendwie habe ich es immer geschafft», sagt sie. Heute hat sie etwas mehr Freizeit. «Aber ich arbeite schon relativ viel», gibt Hollender zu. So engagiert sie sich auch im riesigen EU-Projekt «Partnerschaft zur Risikobewertung von Chemikalien». «Wenn man etwas bewegen will, ist es wichtig, bei diesen Kollaborationen dabei zu sein», sagt sie. Neben den Chlorothalonil-Abbauprodukten spürten Hollender und ihr Team noch weitere schlecht abbaubare und mobile Schadstoffe im Grundwasser auf. Darunter Trifluoressigsäure (TFA), die unter anderem aus Pflanzenschutzmitteln, sowie Kälte- und Treibgasen stammt. Laut einer Pilotstudie des BAFU tritt Trifluoressigsäure flächendeckend im Grundwasser auf, wobei die Konzentration unter Ackerland besonders hoch ist. Zu den erst kürzlich im Grundwasser neu entdeckten Industriechemikalien zählt auch Hexafluorphosphat (PF6-).
Die Umweltchemikerin rechnet damit, in Zukunft noch mehr solche Schadstoffe im Grundwasser zu finden. «Ich glaube aber nicht, dass es viele Stoffe gibt, die wir in so hohen Konzentrationen und flächendeckend finden werden wie die Chlorothalonil-Abbauprodukte», sagt Hollender: «Denn dieses Pflanzenschutzmittel wurde ja tonnenweise auf den Feldern ausgebracht.» Schadstoffe, die aus einer Kläranlage freigesetzt werden, dürften in weit geringeren Mengen ins Grundwasser gelangen.
Die Toxizität vorhersagen
«Was mich in der Forschung antreibt, ist nicht nur das Aufspüren von unbekannten Substanzen», so die Wissenschaftlerin: «Ich möchte auch die Verbindung zu deren Wirkungen machen.» Ihre Gruppe forscht deshalb auf dem Gebiet der Bioakkumulation, also wie Organismen organische Schadstoffe aufnehmen, und arbeitet dazu mit der Abteilung Umwelttoxikologie zusammen. Ausserdem macht ihre Gruppe neu mithilfe der Massenspektrometrie Vorhersagen zur Toxizität von unbekannten Stoffen in Umweltproben. «Massenspektren sagen etwas über die Struktur einer Substanz aus, und die Struktur ist natürlich von Bedeutung für die Wirkung», erklärt Hollender den Hintergrund dieser Arbeiten, für die Datenbanken mit riesigen Datenmengen und Methoden des maschinellen Lernens genutzt werden.
«Ich bin keine Spezialistin für Künstliche Intelligenz, aber man muss sich dem stellen und mit anderen, die sich auskennen, zusammenarbeiten», lautet Hollenders Devise. Die Digitalisierung hat auch ihr Forschungsgebiet verändert, weil in der Wissenschaft mit immer grösseren Datenmengen gearbeitet wird. Doch die Umweltchemikerin ist überzeugt, dass die Menschen auch in der Forschung nicht überflüssig werden: «Es braucht unsere Expertise. Man kann nicht alles mit Knopfdruck machen.»
Erstellt von Barbara Vonarburg für das Infotag-Magazin 2025