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Überwachung von SARS-CoV-2-Mutationen dank Abwasserproben und Bioinformatik

18. Juli 2022 | Andri Bryner

Eine heute in der Fachzeitschrift Nature Microbiology veröffentlichte Studie zeigt den grossen Vorteil der Abwasserüberwachung auf, da sie schnell, unvoreingenommen und günstig ist: Der Nachweis genomischer Varianten von SARS-CoV-2 im Abwasser ermöglicht eine frühzeitige Warnung und kann im Vergleich zu klinischen Proben auf viel weniger Proben basieren. Das von den Gruppen von Niko Beerenwinkel und Tanja Stadler (ETH, Departement für Biosysteme) in Zusammenarbeit mit der Eawag und der EPFL entwickelte Bioinformatik-Tool identifiziert besorgniserregende Varianten selbst bei geringer Häufigkeit.

Einer der an der Eawag beteiligten Forscher ist der Umweltmikrobiologe Tim Julian – drei Fragen an ihn:

Die Studie zeigt, wie die Abwasseranalytik kombiniert mit Bioinformatik bis zu 13 Tage vor den ersten Fällen, die über klinische Tests bekannt wurden, Ende 2020 den Ausbruch der Alpha-Variante in zwei Schweizer Städten dokumentieren konnte. Seither kamen mindestens 4 weitere Varianten – hat dies das beteiligte Team jedes Mal auch so frühzeitig festgestellt?

Ja, unsere Abwasserproben wurden – wie im Paper erläutert – genutzt, um nicht nur Alpha, sondern auch Delta frühzeitig nachzuweisen. Interessanterweise haben wir Delta in Lausanne 118 Tage vor dem ersten klinischen Nachweis nachgewiesen. Omikron (B.1.1.529) wurde zum ersten Mal in Sequenzen aus Basel-Stadt nachgewiesen. Das ist auf die frühzeitigen Investitionen in ein effektives System zur Abwasserüberwachung inklusive Sequenzierung zurückzuführen. Sie können dies auch in der jüngsten Veröffentlichung nachlesen. Ich bin zuversichtlich, dass neue Varianten auch frühzeitig im Abwasser nachweisbar sein werden. Wir befassen uns deshalb intensiv mit der Frage, wie wir die Zeit zwischen der Probenahme und der Datenanalyse verkürzen können.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Behörden aus Ihrer Sicht?

In der Schweiz hatten wir insofern eine gute Ausgangslage, als wir regelmässig mit kantonalen Laboratorien und Bundesämtern zusammenarbeiten. Wie die Autoren unseres Papers zeigen, ist die Arbeit ein Beispiel für die Effektivität starker Netzwerke innerhalb des ETH-Bereichs, die eine schnelle und – zumindest aus meiner Sicht – einfache Zusammenarbeit ermöglichen.  Diese Netzwerke erleichterten zudem den Austausch unserer Resultate direkt mit den Behörden, insbesondere während der Entstehung von Alpha, Delta und Omikron, als das Abwasser frühe Hinweise zur Entstehung und Zunahme dieser Varianten in der Schweiz lieferte. Inwieweit dies die Politik beeinflusst hat, kann ich nicht sagen, aber sicherlich wurde die Verbreitung unserer Erkenntnisse durch stetiges Interesse und Engagement auf allen Ebenen gefördert.

Machen Sie sich persönlich Sorgen, dass schon bald neue Varianten des SARS-CoV-2-Virus auftreten, die möglicherweise schwerere Krankheitsverläufe auslösen oder noch ansteckender sind als die bisherigen?

Es ist klar, dass weiterhin neue Varianten auftauchen werden.  Gegenwärtig besteht beispielsweise Interesse an BA.2.75. Die zuletzt aufgetretenen Varianten werden mit einer erhöhten Übertragbarkeit in Verbindung gebracht.  Glücklicherweise haben wir keinen dramatischen Anstieg bei der Schwere der Krankheitsverläufe erlebt, aber wir können diese Möglichkeit für die Zukunft nicht ausschliessen.  Allerdings sind wir auf den Umgang mit SARS-CoV-2-Infektionen viel besser vorbereitet als zu Beginn der Pandemie.  Wir haben zum Beispiel viel darüber gelernt, wie das Virus übertragen wird und wie man Infektionen in Krankenhäusern behandelt. Ausserdem verfügen wir jetzt über wirksame Impfstoffe. Dennoch bin ich der Meinung, dass wir die zuverlässige Überwachung weltweit fortsetzen müssen, um neue Varianten zu erkennen und ihre Merkmale so früh wie möglich zu verstehen. Dies ist wichtig, damit wir im Bedarfsfall wirksame Massnahmen ergreifen können, die unser Leben nur minimal beeinträchtigen.  Leider scheinen die klinischen Überwachungssysteme weltweit reduziert oder sogar eingestellt zu werden.  Wie unser Paper zeigt, ist Abwasser hilfreich für die Früherkennung neu auftretender Varianten und kann Aufschluss über die Übertragungsfähigkeit geben. Abwasser bietet einen kostengünstigen Ansatz, um die klinische Überwachung zu unterstützen - aber keinesfalls zu ersetzen.

Originalpublikation

Early detection and surveillance of SARS-CoV-2 genomic variants in wastewater using COJAC; DOI 10.1038/s41564-022-01185-x. https://www.nature.com/articles/s41564-022-01185-x.

Titelbild: Abwasserproben werden für die PCR-Analyse vorbereitet.
(Foto: Eawag, Esther Michel)