Verfolgung von SARS-CoV-2 im Abwasser

Probenahme auf der ARA Werdhölzli, Zürich (Foto: Esther Michel, Eawag)

Folgende Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Nachweis von SARS-CoV-2 im kommunalen Abwasser wurden gemeinsam zusammengestellt von den Eawag Abteilungen für Siedlungswasserwirtschaft und Umweltmikrobiologie sowie vom Labor für Umweltchemie an der EPFL.

FAQs

Auf Abwasser gestützte epidemiologische Untersuchungen – was bedeutet das im Zusammenhang mit SARS-CoV-2?

  • Genetisches Material des SARS-CoV-2- Virus kann mit dem Stuhl von infizierten Personen ausgeschieden werden. Dieses Genmaterial kann detektiert werden, ungeachtet der Frage, ob das Virus noch intakt ist oder es sich um Genfragmente handelt.
  • Wird SARS-CoV-2-Genmaterial im Abwasser festgestellt, weist dies auf Infektionen in der Bevölkerung hin.
  • Die Detektion von SARS-CoV-2 im Abwasser kann helfen, für betroffene Regionen Prioritäten zu setzen (z.B. mit Material, Testintensität, Verhaltensmassnahmen etc.).

Was kann die abwasserbasierte Epidemiologie leisten?

  • Abwasseranalysen erlauben ein Monitoring grosser Bevölkerungszahlen (siehe Abbildung 1).
  • Eine SARS-CoV-2-positive Abwasser-Probe kann als Alarm genutzt werden, um in der Region Massnahmen einzuleiten.
  • Regelmässige Proben können die Dynamik (Anstieg und Abflachen der Infektionszahlen) bestätigen, jedoch momentan nicht voraussagen. Daten aus der zweiten Welle in Zürich und Lausanne zeigen die Übereinstimmung der Abwasseranalysen und den gemeldeten Fallzahlen aus klinischen Tests (siehe regelmässig aktualisierte Grafiken auf der Projektwebseite).
  • Wenn klinische Tests nicht mehr flächendeckend und häufig durchgeführt werden (z.B. nach signifikanter Abnahme von Ansteckungen nach Impfkampagnen), kann die Analyse von Abwasser Hinweise geben wo das Virus allenfalls doch noch oder erneut zirkuliert.

Eine SARS-CoV-2-positive Abwasser-Probe bedeutet,

  • …dass kürzlich genesene oder aktuell angesteckte Personen zur untersuchten Abwasserprobe beigetragen haben.
  • …dass ein Schwellenwert an Infizierten überschritten ist (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1. Konzeptionelles Modell der Nachweisgrenze für SARS-CoV-2 im Abwasser, abhängig von der Grösse der angeschlossenen Bevölkerung. Lesebeispiel: Während in einem Altersheim mit 100 Personen schon ganz wenige Personen, die SARS-CoV-2 ausscheiden, detektiert werden können, liegt die Nachweisgrenze auf der ARA Lausanne mit 240'000 Menschen bei rund 100 Betroffenen, die SARS-CoV-2 ausscheiden (aufgrund der wenigen bisher vorliegenden klinischen Studien würde das im Beispiel von Lausanne 10-20 neuen Fällen pro Tag entsprechen).

Wie funktioniert der Nachweis von SARS-CoV-2-Genmaterial im Abwasser?

  • Eine Rohabwasserprobe nimmt man in der Regel vom Zulauf einer Kläranlage (routinemässige, mengenproportionale 24h-Mischprobe). So wird eine grosse Anzahl Toilettenbenutzerinnen und –benutzer im Einzugsgebiet einer Kläranlage erfasst.
  • Der Nachweis und die Quantifizierung von SARS-CoV-2 im Abwasser basiert auf qPCR (für quantitative Echtzeit PCR) oder ddPCR (für droplet digital PCR). Das sind dieselben RNA Vervielfältigungs- und Analysemethoden wie sie auch für klinische Tests genutzt werden.
  • Weil die Konzentrationen der gesuchten Gensequenzen (N1 und N2) im Abwasser sehr tief sind, ist vor der Detektion eine aufwändige Probenvorbereitung über Filtration, Konzentration und RNA-Extraktion erforderlich.
  • Zur Qualitätskontrolle werden den Proben auch bekannte Viren in bekannten Konzentrationen zugegeben. Unterschiede zwischen der Menge zugegebener Viren und Menge gemessener Viren hilft uns zu kontrollieren ob und wie gut die Messungen funktioniert haben.

Wie lange dauert es, SARS-CoV-2-Genmaterial im Abwasser nachzuweisen?

  • Mit der aktuell von EPFL und Eawag angewandten Methode (siehe Projektwebsite) dauert die Probenaufbereitung, -analyse und das Reporting gut zwei Arbeitstage. Da die Proben zur Zeit von den Kläranlagen per Post versendet werden, kommt es gelegentlich zu Verzögerungen. Wir erneuern die Daten ein- bis zweimal wöchentlich.

Was kann die Abwasser-Epidemiologie in Bezug auf SARS-CoV-2 nicht?

  • Abwasserproben spiegeln nicht jeden positiven Fall – aufgrund der Nachweisgrenzen (Abbildung 1) und weil es Infizierte gibt, die kein SARS-CoV-2-Genmaterial ausscheiden.
  • Die Auswertung von Abwasserproben unterscheidet nicht zwischen Neuinfektionen und Genesenen, die aber immer noch SARS-CoV-2-Genmaterial ausscheiden.
  • Abwasserproben können Abstriche zur Identifikation von Einzelfällen nicht ersetzen.
  • Aus Abwasserproben lässt sich bisher keine Vorhersage für die weitere Entwicklung eines Ausbruchs erstellen.
  • Abwasserproben können nur Hinweise geben, aber nicht bestätigen, ob getroffene Sicherheitsmassnahmen erfolgreich sind (aufgrund der Nachweisgrenzen, dem Einfluss von Pendlern und Touristen oder Infizierten, die kein SARS-CoV-2-Genmaterial ausscheiden).
     

Können auch Mutationen erkannt werden?

  • Wenn die RNA aus den Abwasserproben sequenziert wird, lassen sich auch Mutationen finden. Das ist allerdings aufwändig und wird noch nicht mit allen Proben gemacht. Dank der Sequenzierung konnten wir im Team mit ETH und EPFL nachweisen, dass die britische Variante B.1.1.7. schon vor den Weihnachtsfeiertagen in der Schweiz war.
    Siehe Fachartikel (preprint): Detection of SARS-CoV-2 variants in Switzerland by genomic analysis of wastewater samples.

Ist der Impfstoff im Abwasser nachweisbar?

  • Uns sind keine Studien bekannt, die nach «Rückständen» von Corona-Impfstoffen im Abwasser gesucht haben. Bei uns läuft kein Projekt, welches das zum Ziel hat. Die Expertinnen und Experten beurteilen es als eher unwahrscheinlich, dass z.B. die Botenmoleküle aus dem Impfstoff mit dem Stuhl wieder ausgeschieden werden. Und würden sie ins Abwasser gelangen, würden sie dort keine Risiken auslösen. Denn sie sind selbst nicht biologisch aktiv und können sich nicht selbst replizieren. Sie sind lediglich dazu da, bei den geimpften Personen den Bau eines Proteins auszulösen, das der Körper dann als Teil des Erregers erkennt und eine Immunreaktion startet. Die Botenmoleküle werden innert Stunden, die gebauten Proteine innert Tagen im Körper wieder abgebaut.

Weshalb streuen die Daten von einem Tag zum nächsten so stark?

  • Kommunales Abwasser ist eine komplexe Materie und seine Zusammensetzung wechselt ständig, u.a. je nach Wetter und Nutzungen im Einzugsgebiet. Oft behindern (inhibieren) organische Stoffe oder Metalle im Abwasser die PCR-Reaktion. Dann müssen die Proben erst verdünnt werden, aber nur soweit, dass der RNA-Nachweis noch möglich ist. Über längere Zeit (mehrere Wochen) sind die SARS-CoV-2-Kurven aus dem Abwasser aber verlässlich und vor allem unabhängig von der Bereitschaft der Menschen, sich testen zu lassen oder von Testunterbrüchen (z.B. über Feiertage).

Lassen sich aus den Daten der 6 Kläranlagen regionalen Besonderheiten ablesen?

  • Grundsätzlich zeichnen die SARS-CoV-2-Kurven aus dem Abwasser bei allen Anlagen die Zahlen der rapportierten Fälle relativ gut nach, und sie zeigen ähnliche Trends. Und zum Glück hat sich der zum Teil starke Anstieg zwischen Anfangs und Mitte April nicht fortgesetzt.
  • In den Daten von allen 6 Kläranlagen lassen sich Zeitabschnitte mit systematischen Abweichungen feststellen. Diese müssen von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen interpretiert werden, z.B. im Kontext mit der Positivitätsrate aus den klinischen Tests.

Werden noch mehr Kläranlagen dazukommen?

  • Von Zürich und Lausanne analysieren wir Proben seit Beginn der zweiten Welle im Oktober 2020, zuerst zweimal wöchentlich, dann täglich. Seit Februar 2021 sind 6 Kläranlagen im BAG-Projekt AbwasSARS-CoV-2 integriert: Zürich (Werdhölzli), Lausanne (Vidy), Laupen/BE (Sensetal), Altenrhein, Chur und Lugano. Zusammengenommen erfassen wir so fast eine Million Einwohnerinnen und Einwohner, bzw. rund 11% der Schweizer Bevölkerung in unterschiedlichen Regionen.
  • Das Projekt dauert bis im Juli 2021; zu einer möglichen Verlängerung und auch Erweiterung sind wir zurzeit mit dem Bund im Gespräch.

Was kostet das Projekt und wer bezahlt das?

  • Die ersten Arbeiten wurden im Rahmen eines SNF-Projekts durchgeführt (Sonderausschreibung Coronaviren); die laufenden Analysen werden vom BAG (rund 500'000 CHF) und vom BAFU (rund 150'000 CHF) sowie durch grosse Eigenleistungen der beteiligten Forschungspartner unterstützt.

Einzelne Kantone haben begonnen, selber Abwasserproben zu untersuchen. Sind die Resultate vergleichbar?

  • Eawag und EPFL begrüssen es sehr, dass die Kantone das Abwassermonitoring als eine von mehreren Hinweisen zur Beurteilung der Pandemie-Entwicklung beiziehen. Sie unterstützen die entsprechenden Stellen fachlich, damit die Datenreihen aus verschiedenen Regionen der Schweiz untereinander vergleichbar bleiben.
  • Eine Publikation aller Daten auf einer gemeinsamen Web-Plattform ist im Gespräch. Die Koordination und Umsetzung ist aber Sache des Bundes und der Kantone, nicht der Forschung. Eine Möglichkeit wäre, dazu das Netzwerk der Regionallabors zu nutzen, das im Epidemiegesetz (Art. 18) verankert ist.

Kann sich das Virus über das Abwasser verbreiten oder sogar ins Trinkwasser gelangen?

  • Nach heutigem Wissensstand sind die Viren im Abwasser (= Zufluss zur Abwasserreinigungsanlage) grösstenteils nicht mehr aktiv. Die (fragile) Hülle wird von verschiedenen Abwasserinhaltsstoffen (Seife, etc.) beschädigt. Es sind bis dato keine Ansteckungsfälle bekannt, die über ungereinigtes Abwasser stattgefunden haben. Zudem weisen erste Resultate zur Eliminationsleistungen in Kläranlagen darauf hin, dass 99% der SARS-CoV-2 RNA Fragmente in Kläranlagen zurückgehalten werden können. Dies ist in einer ähnlichen Grössenordnung wie viele andere Viren, die schon vor Corona im Abwasser waren. Auch wird das gereinigte Abwasser in der Schweiz nicht direkt als Trinkwasser genutzt, sondern wird in der Umwelt verdünnt und nach mehr oder weniger langen Aufenthaltszeiten (und natürlicher Reinigung, z.B. Uferfiltration) gefasst und je nach lokalen Gegebenheiten mit unterschiedlichen Verfahrensschritten aufbereitet.

Verfolgen auch andere Länder die Pandemie via Abwasseranalytik?

  • Ja. Die Zahl der Forschungsgruppen, staatlicher Stellen und einzelner Städte, welche die Corona-Pandemie zusätzlich zu klinischen Tests auch über Abwasser-Epidemiologie verfolgen wächst laufend. Eine Übersicht gibt folgende Seite: https://www.covid19wbec.org/covidpoops19

Welche Forschungsfragen stehen aktuell im Zentrum

  • Wir arbeiten mit der ETH Zürich daran, aus den Abwasserdaten auch den Reproduktionswert Re zu berechnen.
  • Längerfristig könnte das aktuelle Projekt die Grundlage liefern, dass in der Schweiz eine abwasserbasierte Epidemiologie aufgebaut wird. Damit könnten auch weitere Fragen untersucht werden, etwa die Verbreitung von Grippeviren oder Antibiotikaresistenzen. Das wäre ähnlich wie beim Drogenmonitoring über Abwasserproben, wo UNIL und Eawag massgeblich an europaweiten Standards mitgearbeitet haben.

Weitere Informationen und Links

Projektwebsite

Anwendung der abwasserbasierten Epidemiologie zur Erkennung von SARS-CoV-2

Video

Sendung

SF-Einstein vom 30. April 2020 «Der Lockdown: Das Virus und sein Impact» (36 min).

News

30. April 2020

Der Nachweis des neuen Coronavirus im Abwasser ist gelungen. Selbst kleine Konzentrationen in Proben, die in einer frühen Phase des Ausbruchs entnommen wurden, lassen sich nachweisen. Jetzt ist ein Team von Forschenden der EPFL und der Eawag daran, die Methode zu optimieren. Entstehen soll ein System, das einen allfälligen Wiederanstieg der Fallzahlen früher anzeigen kann als klinische Tests bei infizierten Menschen.

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3. April 2020

Von infizierten Menschen ausgeschiedene Coronaviren finden sich im Abwasser. Forschende wollen das nutzen: Gelingt es, die Viren zu erfassen, könnte so eine Welle von Infektionen vermutlich deutlich früher erkannt werden als via Tests bei Menschen mit Symptomen. Eawag-Forscher Christoph Ort dazu im Interview.

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28. August 2020

Eben hat das Magazin Nature Sustainability einen Übersichtsartikel publiziert zu möglichen Risiken, welche Covid-19-Viren im Abwasser verursachen könnten. Prof. Eberhard Morgenroth (Leiter der Eawag-Abteilung für Verfahrenstechnik) ist Mitautor der Review. Wir haben ihm fünf Fragen gestellt.

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Expertinnen und Experten Eawag / EPFL

Expertinnen und Experten an der Eawag und der EPFL sind Dr. Christoph Ort, Dr. Tim Julian und Prof. Dr. Tamar Kohn.
Fachleute richten Ihre Anfragen bitte per Email an: abwasser.covid@eawag.ch