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Blau-grüne Infrastruktur für lebenswerte Städte
13. Dezember 2022 |
Hitzewellen und extreme Regenmengen – die Folge des Klimawandels machen den Städten zu schaffen. Die Siedlungsentwässerung zum Beispiel sieht sich vor neue Ansprüche gestellt: Sie soll künftig nicht nur mit häufigeren Starkniederschlägen fertigwerden, sondern auch dazu beitragen, Hitzephasen für die Bevölkerung erträglich zu machen. Vor diesem Hintergrund fand am 14. und 15. November 2022 in Glattfelden bei Zürich die «Aqua Urbanica» statt.
Die Tagung richtet sich an Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Traditionellerweise kommen sie aus Siedlungswasserwirtschaft und Forschung, doch immer stärker wendet sich der Anlass auch an Stadt- und Landschaftsplaner, Behörden und Grünflächenämter. Das machte bereits der Tagungstitel klar: «Grün statt Grau – mit blau-grünen Infrastrukturen gemeinsam die Siedlungsentwässerung der Zukunft planen».
Intelligent «wässern» statt bloss ableiten
Wie sich an der ausgebuchten Tagung zeigte, findet in der Siedlungsentwässerung zurzeit ein Paradigmenwechsel statt. Stichworte dafür sind Begriffe wie «Schwammstadt», «klimaangepasste Regenwassermanagement» und «grüne Infrastruktur». «In Zukunft werden wir vielleicht nicht mehr von Stadtentwässerung sprechen, sondern von Stadtbewässerung», sagt Jörg Rieckermann von der Abteilung Siedlungswasserwirtschaft der Eawag, einer der Organisatoren der Tagung. Die Aufgabe der Stadtentwässerung kann es nicht mehr bloss sein, Wasser abzuleiten. Unverschmutztes Regenwasser gehört in der Schweiz schon lange nicht mehr in die Kanalisation, sondern wird versickert. Aber in Zukunft, so forderten mehrere Referenten, müsse es noch gezielter eingesetzt werden, zum Beispiel um schattenspendende Bäume und Grünflächen zu bewässern.
In der Forschung etablierte Konzepte in der Praxis umsetzen
Getragen wurde die diesjährige Aqua Urbanica neben der Eawag unter anderem vom Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA und seinen Partnerorganisationen in Deutschland und Österreich. Die Branchenorganisationen wollen den blau-grünen Infrastrukturen unter anderem mit neuen Richtlinien und Empfehlungen zum Durchbruch verhelfen. «Es geht nun darum, in der Forschung etablierte Konzepte in der Praxis umzusetzen», erklärt Jörg Rieckermann. So stellte der VSA an der Tagung denn auch seine «strategische Initiative Schwammstadt» vor. Ziel des Projekts: Unterstützungsangebote und Standards zu erarbeiten, die Gemeinden eine «klimaangepasste Ausgestaltung der Zukunft» ermöglichen soll. Elemente eines solchen Regenwassermanagements sind unter anderem begrünte Dächer, Versickerungsmulden, Regenwasserspeicher, Teiche sowie naturnahe Grün- und Freiraumflächen, die den Oberflächenabfluss verlangsamen oder ganz verhindern. Das Schwammstadtkonzept ist also nicht bloss eine Antwort auf Klimarisiken wie Starkregen und Hitzewellen, sondern es erhöht auch die Lebensqualität, und es fördert die Biodiversität.
Rückhalt und Versickerung von Regenwasser in bepflanzten Gräben (links); Park mit Bäumen im Innenhof über eine Tiefgarage (Fotos: Brigitte Kisseleff, ERZ)
Die Schwammstadt funktioniert
Wie ein ganzer Stadtteil mit Elementen einer Schwammstadt neu entstehen kann, wenn die verschiedenen Disziplinen in der Planung an einem Strang ziehen, zeigte an der Tagung das Beispiel des Oxford-Quartiers in der deutschen Stadt Münster. Dort entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne ein Wohnraum für 10'000 Menschen. Das wasserwirtschaftliche Konzept des neuen Quartiers beruht auf einem integralen Ansatz, bei der Wasserwirtschaft, Städtebau und Entwässerungsplanung von Anfang an sehr eng zusammengearbeitet haben. Ziel ist eine naturnahe Wasserbilanz, das heisst die richtige Mischung aus Verdunstung, Versickerung und Ableiten des Niederschlages.
Aus Sicht von Eawag-Spezialist Jörg Rieckermann ist dieses Grossprojekt beispielhaft, da die neuen Ansätze der Siedlungswasserwirtschaft früh in den Planungsprozess eingeflossen seien. «Geschieht das nicht von Beginn weg», betont er, «ist es zu spät.» Der wesentliche Erfolgsfaktor für die Schwammstadt, darüber war man sich an der Aqua Urbanica einig, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Was die Tagung auch zeigte: Die positiven Auswirkungen des Konzepts auf den Wasserhaushalt lassen sich belegen. Ein Langzeitmonitoring von Retentionsgründächern in Hamburg etwa zeigte, dass bis zu 80 Prozent der Niederschläge auf den Dächern zurückgehalten wurde und verdunstete. Im Gegensatz zu konventionellen Dachbegrünungen werden sogenannte blue-green roofs mit einer zusätzlichen Rückhalteschicht versehen. Weitere in Hamburg nachgewiesene Vorteile: Wenn Regenwasser dauerhaft auf dem Dach gespeichert wird, dient das der Biodiversität. Und: Die kühlende Wirkung der Verdunstung auf die Umgebung wird erhöht und kann auch in Trockenperioden aufrechterhalten werden. Schliesslich sind Retentionsdachbegrünungen auch wirtschaftlich interessant. Zwar sind die Baukosten deutlich höher, doch wenn das Regenwasser auf dem Dach zurückgehalten wird, braucht es nicht so viele Anlagen zu seiner Entsorgung am Boden.
Wissenslücken schliessen
Eine integrale Entwässerungsplanung ist ein komplexes Unterfangen, bei dem die Planerinnen und Planer auf möglichst realitätsnahe Modellierungen und entsprechende Daten angewiesen – dies ein weiterer Schwerpunkt der Tagung. Lauren Cook beispielsweise, die an der Eawag zu blau-grünen Infrastrukturen forscht, stellte einen stochastischen Regengenerator vor, der zukünftig in der Lage sein soll, bessere Planungsgrundlagen zu liefern, um beispielsweise den Einfluss des Klimawandels zu berücksichtigen. So sollen Praktiker abschätzen können, ob ihre Siedlungsentwässerungssysteme künftigen Entwicklungen gewachsen sein werden.
Auch in anderer Hinsicht ist für die Umsetzung des Schwammstadt-Konzepts Forschung gefragt. Aus der Sicht mehrerer Referenten ist zum Beispiel noch viel zu wenig über die Folgen bekannt, wenn mit dem Regenwasser Mikroverunreinigungen versickern. Und auch Verteilung und Intensität des Regens innerhalb einer Stadt gilt es noch besser zu erfassen. Doch es werden auch ganz andere Forschungsvorhaben diskutiert. «Wir wollen wissen, welche Hebel wir einsetzen müssen, damit die Umsetzung am besten gelingt», so Max Maurer, Leiter der Gruppe «Wasserinfrastrukturen» an der Eawag und Professor für Systeme der Siedlungswasserwirtschaft an der ETH Zürich. Sollte man bei der Zonenplanung ansetzen? Oder zuerst bei den rechtlichen Bestimmungen? Welche Abteilungen in einer Gemeinde müssen besser zusammenarbeiten? Solche Fragen, so überlegt man sich an der von Naturwissenschaftlern geprägten Eawag, könnten vielleicht am besten Sozial- oder Politikwissenschafter beantworten. Nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in der Wissenschaft fordert das Thema blau-grüne Infrastrukturen Interdisziplinarität.
Titelbild: Dachgärtenreal, wie hier im 6. Stock auf dem Areal Toni Molkerei Zürich, können viel zum Wasserrückhalt in der Stadt beitragen (Foto: Brigitte Kisseleff, ERZ)