Mehr Grün und Blau für lebenswerte Städte


Beitrag aus dem Infotag-Magazin 2023

Hitzewellen, Überschwemmungen, Wasserknappheit, Biodiversitätsverlust, steigender Energiebedarf: Die Herausforderungen für Städte in Zeiten des Klimawandels und zunehmender Bevölkerungsdichte sind zahlreich. Die Eawag erforscht, wie diese Probleme mit blau-grüner Infrastruktur im Siedlungsraum entschärft werden könnten.

«Das hier ist Woll-Ziest, eine Pflanze mit ganz speziellen Eigenschaften», sagt Lauren Cook und lässt ihre Hand über die weichen, weisslich behaarten Blätter gleiten. Das unscheinbare, krautige Gewächs breitet sich wie ein heller Teppich auf einer Art Tisch aus, einem von vier Dach-Modellen, die Cook mit ihrem Team auf einer Terrasse der ETH Zürich am Standort Hönggerberg aufgebaut hat. Die Umweltingenieurin leitet in der Eawag-Abteilung Siedlungswasserwirtschaft eine Forschungsgruppe zu blau-grüner Infrastruktur. Dazu zählen verschiedenste naturnahe Strukturen im Siedlungsraum: etwa Parks und Brachflächen, bepflanzte Verkehrsinseln, Baumgruppen, Teiche, Brunnen und Bäche, Vertikalbegrünungen und Gründächer. Cooks Dach-Modelle sind Gegenstand eines Experiments und unterscheiden sich in ihrer Oberfläche voneinander. Drei sind mit je einer anderen Pflanzenart begrünt – hier der Woll-Ziest, da das Gewöhnliche Leimkraut, dort die sukkulente Fetthenne, ein Klassiker unter den Dachpflanzen. Die Oberfläche von Modell Nummer vier, dem Kontroll-Dach, hat die Forscherin im Verlauf des Experiments verändert: von einer schwarzen Folie zu Kies zu hellen Platten aus Steinwolle. Jedes der MiniDächer ist zudem mit einem vertikalen, doppelseitigen Solarpanel bestückt – und mit diversen Sensoren, die im Fünf-Minuten-Takt Daten zu Bodentemperatur und -feuchte, Verdunstungsraten der Pflanzen, Temperatur und Energieleistung der Solarpanels liefern. «Unser Ziel war es, herauszufinden, wie sich die unterschiedlichen Dachbegrünungen auf die Dachtemperatur und die Energieausbeute der Solarpanels auswirken», erklärt Cook.

Je kühler und heller, umso mehr Solarstrom

Dazu muss man wissen, dass Pflanzen durch die Verdunstung von Wasser ihre Umgebungstemperatur senken. Dass helle Oberflächen Strahlung stärker reflektieren als dunkle und sich dadurch weniger stark aufwärmen. Und dass die Leistung von Photovoltaikmodulen durch hohe Temperaturen beeinträchtigt wird – je kühler, umso besser ihr Wirkungsgrad. Da vertikale Solarpanels auch die vom Dach reflektierte Strahlung aufnehmen können, profitieren sie von einer hellen Oberfläche. Ob eine Dachbegrünung mit dem hellen Woll-Ziest die ideale Lösung für weniger Hitze und mehr Solarstrom sein könnte? «Tatsächlich hat nicht das Dach mit dem Woll-Ziest, sondern das mit dem Gewöhnlichen Leimkraut hinsichtlich der Stromausbeute am besten abgeschnitten, wenngleich die Unterschiede klein sind», sagt Cook. Im Vergleich zum schwarzen Dach haben aber alle Gründächer eine Leistungssteigerung der Solarpanels bewirkt, an manchen Tagen um bis zu 20 Prozent. «Gründächer sind konventionellen Dächern überlegen, weil sie multifunktional sind», hält die Umweltingenieurin fest. Sie können nicht nur Hitze mindern und dadurch die Leistung von Solarpanels steigern, sondern auch die Biodiversität fördern. Wie viele verschiedene Insekten und wirbellose Kleinstlebewesen sie beherbergen, hat Kilian Perrelet, Doktorand in Cooks Gruppe, diesen Sommer auf Gründächern in der Stadt Zürich untersucht. Darüber hinaus können Gründächer und andere blau-grüne Infrastrukturen Wasser aufnehmen und speichern – eine Eigenschaft, die in Zeiten des Klimawandels ebenfalls von grosser Bedeutung ist.

Neben der Hitze führen vor allem zunehmende Starkniederschläge zu Problemen im Siedlungsraum. Stichwort Mischwasserüberlauf. Damit es bei Regen nicht zu einer Überlastung der Kläranlagen kommt, wird Mischwasser – eine Mischung aus Regenwasser und unbehandeltem Abwasser – in einem Regenüberlaufbecken gesammelt. Bei Starkregen können diese Becken jedoch überlaufen, das ungereinigte Mischwasser wird direkt in ein Gewässer abgeleitet und belastet das Ökosystem. In Fehraltorf lässt sich dieser Mischwasserüberlauf und noch vieles mehr in Echtzeit mitverfolgen. In der Gemeinde mit 6’500 Einwohnerinnen und Einwohnern östlich von Zürich hat die Eawag zusammen mit der ETH Zürich im Jahr 2015 ein «Urbanhydrologisches Feldlabor» aufgebaut. Ein Messnetz aus über 100 Sensoren liefert kontinuierlich Daten zum urbanen Wasserkreislauf – zu Abfluss, Feuchtigkeit, Fliessgeschwindigkeit, Füllstand von Regenüberlaufbecken, Niederschlagsintensität und Temperatur. «Mithilfe dieser Daten können wir zum Beispiel modellieren, wie viele und welche Arten von blau-grüner Infrastruktur es für die Aufnahme von Regen bräuchte, damit es in Fehraltorf in einem zukünftigen Niederschlagsszenario nicht mehr zu Mischwasserüberlauf kommt», erklärt Cook. Wären 30 Prozent des Siedlungs- und Industriegebiets Fehraltorfs mit blau-grüner Infrastruktur bedeckt, könnte der Mischwasserüberlauf dem Modell zufolge um über 80 Prozent reduziert werden.

Multifunktionale Wirkung besser berücksichtigen

Regenwasserbewirtschaftung, Kühlung, Verbesserung der Photovoltaik-Leistung, Lebensraum für Pflanzen und Tiere – all diese Aspekte möchten die Eawag-Forscherin und ihr Team in einem Ansatz integrieren, um blau-grüne Infrastrukturen hinsichtlich ihrer verschiedenen Funktionen und unter Berücksichtigung von Klimadaten und -szenarien bewerten zu können. «Eine solche ganzheitliche Betrachtung fehlt bisher», sagt Cook. Hier lege man mal ein Gründach an, um Wasser aufzufangen, dort ein paar Bäume zur Beschattung. «Die Synergien verschiedener Elemente und ihre multifunktionale Wirkung werden aber zu wenig berücksichtigt», so die Umweltingenieurin. «Wir brauchen mehr und besser vernetzte blau-grüne Infrastruktur, wenn unsere Städte resilient und auch in Zukunft noch lebenswert sein sollen. Mit unserer Forschung unterstützen wir Ingenieurinnen und Stadtentwickler bei der Planung und Entscheidungsfindung.» Sei es, um die optimale Kombination aus grünen und blauen Elementen für das jeweilige Quartier zu finden oder um einzelne Strukturen wie Gründächer mit einem besseren Design und einer durchdachteren Pflanzenwahl noch effizienter und multifunktionaler zu gestalten als heute.

Ein Beitrag zu den SDGs:

Erstellt von Isabel Plana für das Infotag-Magazin 2023